Romantische Landschaft mit Menschenopfer

Romantische Landschaft mit Menschenopfer
Weißt Du wieviel Wolken gehen weithin über alle Welt...

Donnerstag, 11. Februar 2010


Für Rahel Goldengelchen
Oktober 2006
Rumpelstilzchen. 
Ein Annäherungsversuch an ein ungewöhnlich untypisches Märchen
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Rumpelstilzchen. Das Märchen
(Märchenvariante nach den Brüdern Grimm)


Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und zu ihm sagte "ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen".

Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl, und er befahl die Müllerstochter sollte alsbald vor ihn gebracht werden.

Dann führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach: "Wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben".Darauf ward die Kammer verschlossen, und sie blieb allein darin.

Da saß nun die arme Müllerstochter, und wußte um ihr Leben keinen Rat, denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfing.Da ging auf einmal die Türe auf, und trat ein kleines Männchen herein und sprach "guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?" "Ach", antwortete das Mädchen, "ich soll Stroh zu Gold spinnen, und verstehe das nicht."

Sprach das Männchen: "Was gibst du mir, wenn ich dir’s spinne?" "Mein Halsband" sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das Halsband, setzte sich vor das Rädchen, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war die Spule voll.

Dann steckte es eine andere auf, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war auch die zweite voll: und so ging’s fort bis zum Morgen, da war alles Stroh versponnen, und alle Spulen waren voll Gold.Als der König kam und nachsah, da erstaunte er und freute sich, aber sein Herz wurde nur noch begieriger, und er ließ die Müllerstochter in eine andere Kammer voll Stroh bringen, die noch viel größer war, und befahl ihr das auch in einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben lieb wäre.

Das Mädchen wußte sich nicht zu helfen und weinte, da ging abermals die Türe auf, und das kleine Männchen kam und sprach: "Was gibst du mir wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne? "Meinen Ring von dem Finger" antwortete das Mädchen. Das Männchen nahm den Ring, und fing wieder an zu schnurren mit dem Rade, und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu glänzendem Gold gesponnen.

Der König freute sich über die Maßen bei dem Anblick, war aber noch immer nicht Goldes satt, sondern ließ die Müllerstochter in eine noch größere Kammer voll Stroh bringen und sprach: "Die mußt du noch in dieser Nacht verspinnen; wenn dir das gelingt, sollst du meine Gemahlin werden". "Denn", dachte er, "eine reichere Frau kannst du auf der Welt nicht haben."

Als das Mädchen allein war, kam das Männlein zum drittenmal wieder, und sprach was gibst du mir, wenn ich dir noch diesmal das Stroh spinne?" "Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte" antwortete das Mädchen. "So versprich mir, wann du Königin wirst, dein erstes Kind."

"Wer weiß wie das noch geht" dachte die Müllerstochter, und wußte sich auch in der Not nicht anders zu helfen, und versprach dem Männchen was es verlangte; dafür spann das Männchen noch einmal das Stroh zu Gold. Und als am Morgen der König kam, und alles fand wie er gewünscht hatte, so hielt er Hochzeit mit ihr, und die schöne Müllerstochter ward eine Königin.

Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt, und dachte gar nicht mehr an das Männchen, da trat es in ihre Kammer und sprach: "Nun gib mir, was du versprochen hast". Die Königin erschrak, und bot dem Männchen alle Reichtümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte, aber das Männchen sprach: „Nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt“.

Da fing die Königin so an zu jammern und zu weinen, daß das Männchen Mitleiden mit ihr hatte, und sprach "drei Tage will ich dir Zeit lassen, wenn du bis dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten".
Nun dachte die Königin die ganze Nacht über an alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit nach neuen Namen. Als am andern Tag das Männchen kam, fing sie an mit Caspar, Melchior, Balzer, und sagte alle Namen, die sie wußte, nach der Reihe her, aber bei jedem sprach das Männlein: "So heiß ich nicht".

Den zweiten Tag ließ sie herumfragen bei allen Leuten, und sagte dem Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten vor, Rippenbiest, Hammelswade, Schnürbein, aber es blieb dabei: "So heiß ich nicht".

Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück, und erzählte: "Neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen Burg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein, und schrie:

"Heute back ich, morgen brau ich,
übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
ach, wie gut ist daß niemand weiß
daß ich Rumpelstilzchen heiß!"

Da war die Königin ganz froh daß sie den Namen wußte, und als bald hernach das Männlein kam, und sprach "nun, Frau Königin, wie heiß ich?" fragte sie erst:
"Heißest du Kunz?" "Nein."
"Heißest du Heinz?" "Nein."
"Heißt du etwa Rumpelstilzchen?"

"Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt" schrie das Männlein, und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in die Erde daß es bis an den Leib hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen, und riß sich selbst mitten entzwei.

Soweit das Märchen
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Das Märchen vom Rumpelstilzchen

Ein Versuch, ein merkwürdiges Rätsel aufzulösen.

A. S.

Liebe Sarah, liebe Rahel, ich will versuchen hier etwas zu sagen, dass zu Deinem Verständnis des Märchens vom Rumpelstilzchen beitragen kann, vielleicht nicht gleich, denn ich kann mich jetzt aus verschiedenen Gründen nicht damit befassen mir zu überlegen, wie ich das alles vielleicht einfacher sagen könnte, zumal das zumeist darauf hinausläuft, dass dann alles so einfach ist, dass sich nichts mehr zu sagen lohnt, weil der Sinn dabei mit auf der Strecke geblieben ist. Also schreibe ich es einfach so nieder, wie es mir jetzt einfällt. Es ist auch später noch lesbar und ich rechne nicht damit, dass ich dies alles noch einmal zu sagen haben werde. Manche Sachen müssen eben dann erledigt werden, wenn es dazu Zeit ist. Und das ist hier der Fall. Du aber hast Zeit, es Dir auch später noch einmal anzusehen und dann kann es wie ein Gespräch, das man gerade führt auch dann noch gegenwärtig werden, wenn ich selbst nicht zur Verfügung stehe. Ich sagte Dir ja schon, dass es ein Märchen, um nicht zu sagen: das einzige Märchen ist, das ich nicht spontan ‚verstehe’, so wie etwa Rotkäppchen oder Hänsel und Gretel, Brüderchen und Schwesterchen, Das tapfere Schneiderlein, Rapunzel und andere, die ich nicht alle aufzählen will.

Ich fand es immer merkwürdig, mit welcher Unverfrorenheit hier ein doppelter Betrug inszeniert wird, wobei der zweite an dem ‚Männlein’ ja in der Form des ‚deals’ versteckt wird, der in der Bedingung steckt, die das ‚Männlein’ stellt. Darauf komme ich noch. Zunächst ist es ja der Müller, der den ‚Königssohn’ – der dabei ja als ein gieriger Blödmann, den man leicht für dumm verkaufen kann, erscheint, sich dann aber als ein gieriger Kerl herausstellt, der nun auch mit einem unangenehmen Nachdruck darauf besteht, dass die großartig aufgestellten Behauptungen auch eingelöst werden, und darauf Wert legt, dass er eine eventuelle Lüge, bei der er seine ‚Partner’ ertappt, indem er sie überführt, entsprechend beantworten wird. Denn als ‚Königssohn’ hat er Macht. Das ist nun heute schon ganz anders. Man kann sich darauf verlegen, das ‚Liebesverhältnis’ mit einer dreisten Lüge zu beginnen und dann nach der Polizei rufen, wenn man für die Lüge verprügelt wird. Das ist neu und schafft ganz andere Möglichkeiten, die es zu Zeiten von Rumpelstilzchen noch nicht so gab, weil es noch keine sozialdemokratische Familienministerin namens Schmidt gegeben hatte. Im Übrigen ist das nur Modernisierung nach amerikanischem Muster, aber das will ich beiseite lassen. Es ergeben sich aber sogleich interessante Perspektiven.

Der Betrug wird aber als der des Vaters dargestellt. Die ‚arme, aber schöne Müllerstochter’ ist hier einfach Gegenstand eines Tauschgeschäfts unter Männern, und dafür kann sie ja nix, gell? Also findet sich sich – verzweifelt, dass und damit Gott sich erbarme, und das haben wir als Männer noch so gelernt: Verzweifelte arme und einigermaßen ansprechend dreinblickende Müllers‑, es könnten auch Gastwirtstöchter sein, sind ein mobilisierendes Element im Sehbereich von für ihre Rettung prädestinierte Helden, und so nimmt uns auch der erbarmungswürdige Anblick des armen, aber schönen weiblichen Wesens spontan ein und löst jenen Effekt aus, der Tarzan die blonde, aber schöne und blöde Jane, die ständig stolpert und unablässig panische Quieklaute ausstößt, die ihre extreme Desorientierung markieren, unablässig durch den Dschungel rennend und an Lianen hangelnd retten lässt, die Brüderchen kleine Schwesterchen retten lässt, die stolpernd vor der Explosionswolke der hinter ihnen untergehenden Stadt fliehen, dabei aber ständig hinfallen, so dass es einen Helden braucht, der sie nicht einfach verglühen lässt, sondern das Risiko eingeht, selbst beim Versuch ihr Beine zu machen, mit zu verglühen, damit sie für den Fall ihrer Rettung dann einen Blödmann von nebenan zu ihrem Liebhaber machen können usw. – Also findet sie sich, sage ich, ganz ohne ihre Schuld in der von ihrem Vater – ihre arme Mutter ist lange gestorben, so dass das Märchen davon dispensiert ist, etwas über sie sagen zu müssen, eine kluge Regelung, findest Du nicht? – für sie zurechtgemachten unglücklichen Lage vor, und wenn es bloß ums Kochen oder darum gegangen wäre, dass sie auch ein wenig blöd ist, wenn auch schön, dann wäre ja noch etwas zu machen gewesen, aber was hätte ein Königssohn dann mit ihr anfangen sollen. Junge Frauen, die nichts weiter können, gibt es massenhaft und außerdem auch welche, die etwas können. Es war ja das Versprechen, dass sie Gold machen könne, das den Königssohn erst auf sie aufmerksam machte. Von dieser Art und Verfassung ist also der Bursche, mit dem sie sich da in einem Haus wieder findet. Das ist nun ganz bestimmt ein Unglück, aber das zählt zunächst nicht und wird später einfach ‚vergessen’, Warum eigentlich? Na, das lässt sich sagen. Man kann vermuten, dass das Märchen von einer Frau erfunden und erzählt wurde.

Es gehört zum spezifisch ‚weiblichen’ Wissen, und damit zu einer ursprünglich geheimen weiblichen Überlieferung. Es waren Frauen, die dieses Märchen an Mädchen weitergaben in Abwesenheit der Männer, die hier in Charakterisierungen figurieren, die sie in kaum einem guten Licht und aus der Perspektive ihrer Übertölpelbarkeit, eigentlich ihrer Verblendung und Dummheit, also aus speziell weiblicher Sicht unter dem Gesichtspunkt ihrer Einsetzbarkeit als kalkulierbarer Größe in einem ihnen unbekannten Plan erscheinen lässt, also einer weiblichen Perspektive, die ihre Gier und ihren Hang zum Betrug, zu großen Sprüchen und überzogener, auf den Wahn überlegener partriarchalischer Vormachtstellung im Familienverband gestützter illusionärer Selbstsicherheit herausstellt und damit die Angriffspunkte für die weibliche List plakatiert, an denen die Spitze dieser List die breite Seite der männlichen und etwas grobschlächtigen Gewalt anzugreifen imstande ist, indem sie den Wahn des Mannes zum Bestandteil der eigenen listigen Kalküle macht. Die ‚hilflose Lage’ im Märchen, als Gegenstand eines ‚Austauschs unter Männern’ – also zwischen dem Müller und dem Königssohn zunächst, zu denen dann das ‚Männchen’ noch hinzukommt – in die die schöne Müllerstochter gerät, entspricht also auch einer historischen sozialen Realität, von der man nicht mehr behaupten kann, dass sie in dieser Form noch gegeben ist.

Umso erheblicher wäre dann die Fortexistenz solcher weiblicher Sozialtechniken, für den Fall dass sie unter ganz anderen Umständen dennoch weiterhin verbreitet zur Anwendung kommen neben den Möglichkeiten, die Frauen heute haben, nicht nur, was die Folgenabwälzung etwa dann betrifft, wenn die Anwendung solcher Techniken aufgedeckt wird – denn der Betrug ist ja eine Form des asozialen Handelns und gerade aufgrund seiner bewussten Absichtlichkeit als Perversion des Geschlechterverhältnisses unzweideutig erkennbar, und zwar dann, wenn er auf eine Perversion dieses Verhältnisses antwortet, deren Typik sich eher männlichen ‚Verhaltensweisen’, also Verhaltensautomatismen unbewusster Art zurechnen lässt, ebenfalls unter der Voraussetzung unveränderter sozialer Konstellationen in der Tradition des Märchens, der es entstammt und auf die es antwortet – : Das arme, aber schöne Weibchen, das unglücklich und verhärmt in seinem Gefängnis sitzt und das gegebene Versprechen einlösen muss, bei Androhung schwerster Strafe oder des Todes gar, wäre dann nichts als die Vortäuschung des kulturellen Bildes und Stereotyps der ‚Muttergottes’ das angesichts seiner offensichtlichen Schutzbedürftigkeit an die starken Retter appelliert, wiederum dann unvermeidlich männlich, die es vor den Typen bzw. Geschlechtsgenossen retten, ohne recht zu bemerken, dass die Retter, an deren animalische Instinkte: begattungsfähiges und –bereites Weibchen wird gegen männliche Rivalen um die Begattung erfolgreich verteidigt, zugleich aber in einem sozio‑kulturellen Rahmen, der seine Schonung vorschreibt und seine nunmehrige umstandslose Vergewaltigung durch seine Retter (es ist doch eine Heilige) verhindert, indem es ihm das Wahlrecht zugesteht. Was dieses Stereotyp, das die Reaktionen des Mannes steuert, verhindert, ist dann wiederum die darin steckende Täuschung, die die Wahrheit des listigen Bewusstseins vor dem des Mannes verbirgt, der meint, er handele als selbstloser Retter einer ohne eigenes Verschulden in Gefahr und Misshelligkeiten geratenen reinen Unschuld, die es vor den Bösewichtern zu retten gilt. Das alles ist auf geniale Weise in ein paar auf den ersten Blick ganz anspruchslosen Sätzen untergebracht, die die Komplexität des sozialen Dschungels und der aufeinander bezogenen Strategien und Regeln der Gattenwahl und des Generationen‑ sowie Geschlechterverhältnisse kaum ahnen lassen, wenn man meint, sich nicht die Mühe machen zu müssen, ein Märchen genauer zu betrachten und vor allem ganz sicher ist, zumal als Mann, dass Märchen etwas für Kinder sind, die sich dergleichen noch bereitwillig erzählen lassen, weil sie (noch) nicht recht bei Verstand sind. So also sehen wir die arme und schöne reine Unschuld züchtig und verzweifelt in ein Schicksal ergeben, dass nichts bereit zu halten scheint als den Tod.

Denn sie kann kein Gold spinnen. Indessen, warum spricht sie nicht, indem sie dem ‚Königssohn’ nun einfach mitteilt, dass sie kein Gold spinnen kann, dass vielmehr ihr Vater ihn belogen hat und damit basta? Aber ihre Lippen sind versiegelt. Wie eigenartig. Sie schweigt, obwohl ihr klar ist, dass sie nicht kann, was von ihr gleichwohl erwartet wird, und obwohl das in Kürze unvermeidlich offenbar werden muss. Es wäre ganz überflüssig sie einzusperren, denn woher sollte sie Hilfe holen. Da sie kein Gold spinnen kann aus Stroh, wird sie sich kaum Hilfe holen können irgendwo, auch wenn sie aus und ein gehen kann wie sie will. Und wer es kann und ihr helfen könnte, wird vielmehr den Teufel tun, sondern das derart verarbeitete Material für sich selbst behalten, es sei denn, die Hilfsbedürftigkeit ist eine arme, aber schöne Müllerstochter (oder Gastwirtstochter) und der potentielle hilfsbereite Retter ist ein Mann.

Das darf dann angesichts dieser Fähigkeiten auch ein ‚dürres kleines Männchen’ sein und das ist nun auf einmal kaum verwunderlich angesichts des Umstandes, dass es aus Stroh Gold spinnen kann. Diese Fähigkeit macht es attraktiv. Dafür gibt es Parallelen im Tierreich. Bestimmte Vogelarten veranlassen das Männchen der Tierart (Saurierabkömmlinge mit sehr kleinem Hirn) dazu, zur Paarungszeit ein Nest zu bauen und dann am Eingang ein mehr oder weniger buntes Arrangement von Beeren, kleinen Früchten von der Größe von Kirschen und Flügel z. B. einer blau schimmernden Käferart kunstvoll zu drapieren um das abwartend in der Gegend sitzende Weibchen, dass dem munteren Treiben der Männchen wählerisch zusieht dazu zu veranlassen, sich für das aufgebaute Arrangement und damit gegen das aller Konkurrenten zu entscheiden.

So entscheidet sich also die reine weibliche Unschuld, die bei genauem Hinsehen nunmehr in Wahrheit drei Männer hat, mit denen sie in mehr oder weniger eindeutigen ‚Beziehungen’ steht, unter Ausschluss der Information der beiden anderen für das dürre und wenig attraktive Männlein, weil es seine verständliche situative Attraktivität aus anderen Qualitäten zieht als aus der Eindrücklichkeit einer ‚Vaterfigur’ (wie hier der Sozialpsychologie gern sagt) oder der anders gearteten Attraktivität des jungen Mannes, einmal abgesehen von seiner Gier und Leichtgläubigkeit, die ihn kaum empfehlen, so wenig wie der Hang zur Lüge des Mannes aus dem Volke mit dem gesunden Menschenverstand, von dessen Frau sowie deren Geistesverfassung bzw. Sozialcharakter wir hier nichts erfahren aus purer Weisheit der Erzählerin oder der ‚Magierin’? (oder ‚Hexe’?), die das Märchen erfand, die diese Mutter einfach ‚gestorben’ sein lässt. Allerdings hat auch das seinen strukturellen Sinn, denn man muss sehen, dass die Müllerstochter damit ja auch in bestimmter Weise gezeichnet ist, insofern der frühe Tod der Mutter das weibliche Kind natürlich, wenn auch auf eine andere Weise als das männliche, in einer auf der Außenseite patriarchalischen sozialen und kulturellen Formation auf spezifische Weise betrifft.

Das Problem, was eigentlich der Verlust des Vaters und seine Ersetzung etwa durch die Mutter an der Erzählung verändern müsste, will ich jetzt erst einmal ausklammern, weil es sonst doch schnell so komplex werden könnte, dass Du am Ende nicht mehr folgen kannst. Das kann u. U. so schwierig werden wie die gegenwärtige Astrophysik. Natürlich ist der der ‚stolze Königssohn’, der sie hier hermetisch von jedem sozialen Kontakt abriegelt. Das entspricht dem Selbstbewusstsein der kulturellen Verhältnisse, in denen die Geschichte wurzelt und kann leicht gegen den so erfolgreich denunzierten ‚Beschützer’ gewandt werden, der damit selbst Schuld daran ist, dass die weibliche List auf ihre eigenen Auswege verfällt, der derart identifizierten Gewalt mit der List ihrer eigenen Betrügerei erfolgreich entgegen zu treten, indem sie sie hinterhältig unterläuft und dabei das damit auf zweierlei Weise angegriffene kulturell geordnete Bewusstsein der männlichen Bewusstseinsformierung erfolgreich für taktische Absichten nutzt, die diesem strukturell gewöhnlich verborgen bleiben. In dieser kulturellen Welt ist ein weibliches Bewusstsein in dem Körper eines Mannes ein ungemein störender Faktor, und die Folgen dieser Vertauschung sind kaum absehbar, zumal angesichts der eintretenden Vertauschung der Polasierung. Es wäre als wenn ein Nordpol plötzlich auf beides, auf Nordpole und auf Südpole zugleich ‚anziehend und abstoßend’ wirken würde bzw. ständig oszilliert. Das halte ich hier nur in einer schwachen Analogie fest, weil es auch einen Nebenstrang bildet, dem ich jetzt nicht folgen will.

Hilfsbereite Helfer, die sich plötzlich aus dem Nichts konfigurieren, sind zweischneidige Gestalten. Einerseits sind sie in Notlagen natürlich willkommen, aber das heißt auch, sie sind angesichts der Notlage in erster Linie willkommen. Leicht ist einzusehen, dass ein spindeldürres Männlein nach Art des Schneiders Meckmeckmeck kaum attraktiv wirken dürften auf schöne Müllerstöchter, wenn diese nicht zusätzlich arm und außerdem in eine sei es auch unverschuldete, also erbarmungswürdige Notlage geraten sind. Sternthaler, einer weiblichen Märchengestalt, die ebenfalls von Erzählerinnen, also weiblicher Phantasie mit Bezug auf Kultur und soziales Leben erfunden und erzählt wurde, wird unter ähnlichen Umständen, angesichts der Erfrierungsgefahr empfohlen, ein wenig das Hemdchen zu heben, damit sie die goldenen Thaler, die von nächtlichen Sternenhimmel fallen in ihrem Schoß auffangen kann. Das kann vieles zugleich bedeuten, verknüpft aber auf eine etwas andere Weise kulturelle Vorgaben mit sozialen Gegebenheiten und typische Lagen einerseits mit den geschlechtlichen Gegebenheiten und dem kosmischen, auf das Gesamt der überindividuellen und übersozialen sowie transkulturellen Bedingungen und Umständen des Lebens. Die weibliche List ist hier anders eingekleidet und auf transkulturelle Bezüge hin derart orientiert, dass die speziell sozialen und kulturellen relativiert werden im Dienst der Handlungsfreiheit, die in bestimmten Lagen befreit sein muss von u. U. engen Rücksichten und Besonderheiten, wie sie eine bestimmte Kultur dem Individuum auferlegt, zumal auch mittels einer auf das Geschlecht bezogenen Einschränkung des Horizonts möglicher Handlungen.

Das kleine Männchen erscheint in der Heimlichkeit einer informativen Abschirmung gegenüber dem Rest der Sozialwelt und der familialen Umgebung, die erst die Möglichkeit dazu schafft, also nicht das rein Negative einer erzwungenen Gefangenschaft hat, während die Erzählung natürlich den Eindruck verstärkt, dass es sich um ein eigentlich ungerechtes und gewaltsames Arrangement des gierigen und nun auch noch erpresserischen jungen Mannes handelt, also einer bestimmten Imago des männlichen Lebensalters, insofern der Müller den Vater, der Königssohn den Gatten und das Männlein den Großvater als Generationen verkörpert.

So gesehen ist die Müllerstochter in einer prekären Lage. Sie allein ist nichts als die schöne, arme Müllerstochter und repräsentiert nichts als das Weibliche im Stadium seiner Geschlechtsreife und der Gattenwahl. Hinter ihr und vor ihr ist – Nichts; nichts, wovonher sie käme und nichts woraufhin sie ist als die Mutter, die sie nicht hat. Sie wird noch Mutter werden und damit wird abgeblendet. Dieser Aspekt der Verdunkelung der Zukunft der Familie (die Müllerstochter, ihr Kind, über dessen Herkunft väterlicherseits wir nichts erfahren, und der Königssohn bilden dann ja formal und anthropologisch korrekt die Familie. Es wird hier einfach einer Automatik der Assoziation überlassen, die wir auf Seiten der männlichen Rollenträger angesiedelt denken dürfen, wer der Vater dieses Kindes ist, und was fällt mir ein: natürlich der Königssohn, oder fällt mir doch noch etwas anderes ein? Gut, es ist etwas anderes, über assoziative Automatismen zu berichten und wieder etwas anderes an ihnen, sei es auch unbewusst, als blinden und unbewussten Begrenzungen und Voraussetzungen des bewussten ‚Denkens’, das den Namen führen mag, aber nicht verdient zu ‚leiden’, ein Leiden, dass seinerseits nicht als solches empfunden werden mag, was wiederum nur ein Hinweis darauf ist, wie wenig das bewusste Erleben einem Geist eine zuverlässige Auskunft gibt darüber, in welcher Verfassung er wirklich ist.), die einfach gar nicht existiert, ist auffällig. Es ist zu bemerken, dass an keine der Varianten, die den mehr oder weniger spektakulären Abgang des dürren Männchens, das erfolgreich betrogen wurde, die für das Märchen typischen Formeln Anschluss finden, also wenigstens die beiden verbreiteten: „Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende“, und: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“.

Zunächst rechtfertigt die Notlage die Müllerstochter, wie Sternthaler gerechtfertigt wird angesichts der Sterne des Nachthimmels, obwohl man schon sagen muss, dass auch hier der kosmische Bezug vollständig zugunsten eines Pragmatismus des unmittelbaren Erlebens eingeschränkt ist, wie man das von verwahrlosten Jugendlichen und entsprechend dem ihnen vermeintlich übergeordneten professionellen Bewusstsein, wie es der Einheitsjargon von Sozialpolitik und einer auf Sozialarbeit restringierten Sozialwissenschaft gemeinsam verkörpern. Will heißen, das ‚wissenschaftliche Bewusstsein’ der Sozialarbeit und der ihm zugeordneten Politik beziehen sich auf denselben Kontext der Bedürfnisse eines in der Engführung auf das Unmittelbare eingeschränkten Bewusstseins eines Individuums, das unter gegebenen Umständen erfolgreich überleben will. Anders gesagt: Die Situation der Müllerstochter bleibt sehr eng bezogen auf genau genommen dieselben unmitttelbaren Interessen an materiellen Gegebenheiten und den darauf bezogenen, u. U. eben etwas trickreich ausfallenden und damit dann auch zugleich von Hinterlist, Lüge und Gier durchzogenen ‚Handlungsmotivationen’ aller Beteiligten. Die Müllerstochter ist in diesen Horizont eingeschlossen, und dies ist zugleich derselbe Horizont, den die ‚sozialwissenschaftlich angeleitete Sozialarbeit’ als eine Branche der Politik und der Gestaltung der Herrschaftsmechanismen ihrerseits mit den Objekten dieser Politik teilt und den sie nicht überschreitet.

Die ‚Magierin’, die vielleicht ‚Sternthaler’ erfand, kann sich angesichts der Eigenart der Tragödie der weiblichen Existenz dagegen auf die Sterne beziehen, und behält diesen Hintergrundbezug auf – Kant würde sagen: - das Erhabene, also eine ästhetisch gedachte kosmische Transzendenz, von der der Pragmatismus der aufs Nächste beschränkten Müllerstochter keine Vorstellung bilden kann. Es ist nicht unerheblich, dass ‚Sternthaler’ als sozialer Typ der Individuierung die Vollwaise verkörpert, das Straßenkind, ähnlich wie das Kind in der Weihnachtsgeschichte von dem Mädchen mit den Zündhölzern, also einer erbarmungslosen, im übrigen aber konfessionell christlichen Welt des nördlicheren Europa, und zwar im Stadium der frühen Adoleszenz bzw. der Spätpubertät. Sie ist lebensgeschichtlich zwischen Mädchen und Frau situiert. Der ‚Reichtum’ fällt ihr zu, sie bemüht sich nicht eigentlich um ihn und schon gar nicht greift sie zur Strategie der Lüge, wie der Müller, oder hat die Gier des Königssohns, daher auch nicht die List der Müllerstochter. Was sie erhält, der Inbegriff des Reichtums und der Erfüllung, ‚fällt ihr in den Schoß’.

Die Müllerstochter erscheint als Frau. Man kann sie kaum als ‚Jungfrau’ erkennen. Dazu erscheint ihr Umgang mit den männlichen Antagonisten viel zu routiniert und bewusst. Sie handhabt sie zunächst schweigend und indem sie sich scheinbar in die weibliche Rolle des Gegenstands der Verhandlungen unter Männern passiv fügt. Darin kann aber ebenso gut ihre Ausstattung mit dem einer bestimmten Ethnie jeweils zur Verfügung stehenden, spezifisch geschlechtsgebundenen Techniken des symbolvermittelten Umgangs mit dem jeweils anderen Geschlecht erscheinen, über das die geschlechtsreife und heiratsfähige junge Frau in traditionalen Gesellschaften jedenfalls stets verfügte, nicht nur aufgrund der u. a. auch in den Überlieferungen der Volksmärchen – deren Sinn ja auch die Bewahrung der Tradition war, die also in gewisser Weise den Charakter und Sinn von Initiationen bzw. die Initiation begleitenden Erläuterungen von deren symbolischem Sinn haben – erscheinenden ‚Verhaltensstrategien’ gegenüber dem anderen Geschlecht, deren Hauptmasse indessen im alltäglichen Umgang und wenigstens teilweise unter Ausschluss der Mitwisserschaft des anderen Geschlechts vermittelt worden sein dürfte, teils in der Form vorgemachten und entsprechend nachgeahmten ‚Verhaltens’, teils in der Form allgemeiner Erläuterungen des sozialen Stereotype des männlichen Verhaltens, die sich mitnichten als ‚Vorurteile’ abfertigen lassen, sondern als empirische Wahrscheinlichkeiten verständlich werden, die nur wiedergeben, welche Verhaltensstereotype dem erwartbaren Verhalten ‚der Männer’ tatsächlich entsprachen.

Und am deutlichsten hebt sich hier die vordergründige Passivität des Handelns sowie das diesem entsprechende abwartende Schweigen der Müllerstochter als das für ihr tatsächliches Handeln bestimmende Moment ihres Verhaltens hervor. Es ist zugleich ein Beleg für die Bedeutungsdifferenz zwischen ‚Verhalten’ und Handeln, die sich nicht reduzieren lässt: Handeln ist nicht Verhalten. Beide unterscheiden sich nicht wie eine Beobachtung von Gesten oder ihr Ausbleiben einerseits (Verhalten) und eine ihnen zugelegte Bedeutung andererseits (Handeln), sondern wie eine Intention und ihr bedeutungsvoller Ausdruck einerseits und eine bloße Beobachtung (einer Bewegung) an einem Fremdkörper andererseits: Die Müllerstochter, scheinbar passives (weibliches) Objekt in einem Austausch, der ausschließlich zwischen Männern als den Polen des Vorgangs vorgeht, ist tatsächlich das aktive Zentrum DER Handlung, die das Märchen illustriert. Wo die Männer agieren bzw. sprechen, lügen, Befehle erteilen, drohen, Bedingungen stellen, Versprechen verlangen, Ausführung von Arbeiten und Aufträgen, da schweigt die Müllerstochter, wartet ab, reagiert bloß, geht auf Bedingungen ein, verzweifelt, fügt sich, leidet, wo andere durchsetzen, so scheint es. Tatsächlich ist sie der ‚unbewegte Beweger’ des sozialen Kosmos. ‚Alles dreht sich und bewegt sich’ – um sie und ihre implizit bleibenden Ziele und Absichten.

Es ist eigenartig bzw. auffällig, wie einerseits die Reihe ‚Königssohn’, ‚Müller’ und das ‚Männchen’ hier eine Generationenreihe, nämlich den Enkel bzw. Sohn, den Vater und den Großvater verkörpern, die Handlung aber ihren Ausgang nimmt beim Vater, dem Müller, der die Geschichte in Gang bringt durch die Lüge gegenüber dem Sohn einer genealogischen Linie, die gemäß den sozialen Regeln wohl der exogamen Ordnung genügt, aber entsprechend dem Gefüge der Ständegesellschaft, allgemeiner: der sozialen Hierarchie eigentlich ausgeschlossen ist aus der Partnerwahlmöglichkeit, der also in einer Hinsicht den geltenden Heiratsregeln gemäß zur Wahl steht, anderen Regeln gemäß aber nicht. Die intentional angelegte Überschreitung sozialer Grenzen deutet sich bereits in dem ersten Satz an, in dem die Müllerstochter als schön, aber arm! charakterisiert wird.

Was soll das? Nun, das ist klärbar. Die Betonung der Schönheit ist ein Merkmal, das noch vor dem Reichtum rangiert, insofern es aufgrund der Eigenart der menschlichen Natur und der auf Instinktresten beruhenden ‚Mechanismen’ der Partnerwahl traditionell eine so große Rolle spielt, dass man die phänotypische Ausprägung des Weiblichen geradezu auf dieses Auswahlprinzip entlang dem Kriterium der Schönheit zurückführen muss. Anders gesagt: Der weibliche Phänotypus des Homo sapiens sähe heute nicht aus wie er im Großen und Ganzen aussieht, quer durch alle Kulturen und Rassen, wenn es nicht eine Bevorzugung dessen bei der Partnerwahl des Mannes, bzw. eine erhöhte Attraktivität der ‚Schönheit’ für die potentiellen männlichen Partner, also der so empfundenen Ausprägung des Weiblichen bei der Gattung Homo sapiens gäbe. Dieses Merkmal ist das Übergreifende, dass die Überschreitung sozialer Hierarchien möglich macht, wie jeder, Mann oder Frau wissen kann. Das Merkmal der Armut ist ein soziales Merkmal, aber es ist dies in einem eigenartigen Kontext, nämlich einem Kontext, der die soziale Existenz des Müllers als eine Form der Armut einstuft. Das ist nicht selbstverständlich. In Gesellschaften, in denen es den Beruf des Müllers gibt, gilt dieser keineswegs als ‚arm’. Der Beruf ist ein Handwerk, das neben dem Bauern und dem anderer Handwerke sowie dem Händler figuriert. Zu seiner Ausübung ist ein erhebliches Kapital in der Form des Arbeitsgeräts, der Mühle vorauszusetzen, und der Beruf gehört zu den geachteten und geschätzten Berufen. Als eine Form der ‚Armut’ erscheint dieser handwerkliche Beruf nur unter bestimmten Perspektiven, und eine der markanten Perspektiven dieser Art ist natürlich die eines ‚Königssohns’.

Es ist dieser, der die Müllerstochter als zunächst arm, aber schön, oder dann auch als schön, aber arm wahrnimmt und damit sozial einstuft. Diese Perspektive wird uns zunächst scheinbar aus der neutralen Sicht der Erzählerin angeboten, aber so wie sie mit einem weiblichen ‚bias’, einer Voreingenommenheit ausgestattet ist, wie aus vielen Indizien hervorgeht, von denen einige genannt sind, so hat sie auch eine soziale Voreingenommenheit, und es diese, die sich sogleich als die des Müllers, des Vaters der Tochter herausstellt, denn dieser setzt dieselbe Perspektive einfach voraus, wenn er seine Tochter dem Königssohn empfiehlt indem er zu der dreisten Lüge greift, sie könne Gold machen. Diese Behauptung überbietet ja jeden bloßen Besitz von Gold, und sei es noch so viel, durch die Fähigkeit, sich nach Bedarf einfach selber welches herzustellen, noch dazu aus dem was en masse bleibt, wenn das Korn gedroschen ist, nämlich leergedroschenes Stroh., der Inbegriff für zunächst eher wertloses Material, das zudem als Metapher der Dummheit gilt, insofern einer ‚strohdumm’ sein kann, einer eigenartigen Bezeichnung, in der sich natürliche, soziale und persönliche Momente zu einem Negativ dessen zusammenfügen, dessen Positiv der hohe Rang auf der sozialen Stufenleiter und des persönlichen Erfolges sind.

Der Müller kontert also gewissermaßen die verächtliche Sicht des Königssohns, der sich sagt: Sie ist wohl schön, aber arm, oder: Sie ist arm, aber schön, indem er die Grundlagen des sozialen Status des Königssohnes überbietet, so wie die produktive Potenz (Gold machen können) die bloßen Aneignungsergebnisse überbietet (Gold besitzen), also durch die dreiste Lüge, die diese Potenz bloß behauptet. Er verspricht also eine reiche Mitgift, deren Besonderheit als Quelle des Reichtums seinen bloßen sozialen Inhaber überbietet. Das Motiv dazu ist zunächst rätselhaft, wenn man nicht einen Ehrgeiz ins Auge fasst und voraussetzt, den der Müller über seinen sozialen Status hinausgehend hat angesichts des sozialen Status der über ihm rangierenden sozialen Positionsinhaber oder Gruppen. Hier ist dies der Adel, den man nicht unbedingt als Geburtsadel festgelegt betrachten muss.

Es ist ein auf Reichtum beruhender sozialer Vorrang, der hier der ‚Armut’ des Müllers entgegen gesetzt wird, und von dem her die Lage des Müllers als inferior bzw. als Armut erscheint. Diese Perspektive, also eine Außenansicht seines sozialen Status, hat der Müller übernommen und er reagiert in diesem Sinne, indem sein Ehrgeiz sie zugleich durch eine Größenphantasie überbietet, die den angegriffenen, aber als Maßstab verinnerlichten Angreifer – die übergeordnete soziale Gruppe – zugleich in der Phantasie aushebelt und – ködert, bei demselben Motiv, das spiegelbildlich dem Ehrgeiz des Müllers entspricht, der in der Gestalt seiner Tochter, die als projektive Trägerin seines Ehrgeizes fungiert, die Schranken seiner sozialen Gruppe zu überschreiten entschlossen ist, allerdings um den Preis eines Betruges, der zugleich, im intergenerationellen Verhältnis, ein Betrug des Vaters (des potentiellen Schwiegervaters) an dem Sohn (dem potentiellen Schwiegersohn) ist, und der auch ein Betrug des Vaters an der Tochter ist, die er als Erzieher dazu anhält, dem Betrug zunächst schweigend Beihilfe zu leisten (was schon darauf hindeutet, dass der Schein der passiven Fügsamkeit hier trügt, insofern dieses Sich‑Fügen bereits mehr erfordert, nämlich die Mitwirkung an der Betrugsabsicht und ihrer erfolgreichen Durchführbarkeit) der dann sogleich der Übergang zur eigenaktiven Umsetzung des im Auftrag des Vaters so gut wie im eigenen Interesse vollendeten Betrugs in mehrfacher Hinsicht folgt.

Während also derart die Haltung des Vaters und seine ehrgeizige, den Angreifer verinnerlichende Reaktion, ihrerseits auf Angriff und Überbietung der sozialen Diskriminierung und Herabsetzung durch die ranghöheren Gruppen, und damit in die Lüge und den Betrug als Formen der sozialen Auseinandersetzung übergeht, übernimmt die Tochter schweigend und sich fügend diese Haltung ganz ohne ein Bewusstsein ihrer Quellen, es sei denn als ihr selbstverständlich gewordene Aufforderung ihres Vaters, sich entsprechend zu ‚verhalten’. Insofern ist sie vom Ressentiment des Vaters frei. Es erscheit nur noch abgeleitet, in der Form der bedenkenlosen Konsequenz ihrer Täuschungsmanöver und Listen, mit denen sie nun das ‚Männchen’ und den ‚Königssohn’ gleichermaßen erfolgreich gegeneinander ausspielt. Denn es ist ja für eine strenge Ausschließlichkeit in deren Verhältnis gesorgt: Der Königsohn geht, das Männlein kommt und umgekehrt. Die beiden begegnen sich niemals, dafür sorgt das Arrangement, wiederum mittels der aktiven Gestaltung durch den Königssohn einerseits, der zugleich nicht weiß, was er da tut und welche Möglichkeitsräume er nicht so sehr schließt, sondern vielmehr öffnet (Seine bewusste Aktivität entlang seiner bewussten Motivationen wird also für andere, ihm gerade wegen seiner Motivationen nicht zugängliche Möglichkeiten, die die Müllerstochter nun nutzt in ihrem Sinne), während das ‚Männchen’ über alles genauestens informiert ist, ohne dass das jemanden wundert. Die Erzählerin stellt das mit einer so harmlosen Einfachheit dar, dass man kaum auf den Gedanken kommt sich zu fragen, warum diese Informiertheit des Männchens über einfach alles, was die Konstellation der Geschichte ausmacht, als so selbstverständlich eingeführt wird.

Die Müllerstochter ‚schindet zunächst einfach Zeit’, indem sie zu allem schweigt. Das setzt ein erhebliches Selbstvertrauen voraus, und es ist schwer sich an die Vermutung zu halten, diese Eigenschaft, die ganz unbemerkt – im Gegensatz zu ihrer Schönheit und ihrer Armut – nebenbei eingeführt wird, so dass sie dem Zuhörer leicht entgehen kann, sei eher als Behinderung zu verstehen, als Mangel an Mut oder als Schüchernheit, nicht zuletzt weil er durch die Erwartung der Vollständigkeit der expliziten Aufzählung ihrer anderen Merkmale getäuscht wird, dass auch ihre Schweigsamkeit eine wichtige positive Eigenschaft ist, die ihr zu Hilfe kommt. Aber das setzt nicht nur Selbstvertrauen voraus, das darauf setzt, dass sich schon eine Lösung finden wird, kommt Zeit, kommt Rat, sondern auch eine Kooperationsbereitschaft, die mehr ist als bloßes Einverständnis oder Bereitwilligkeit zur mehr oder weniger gehorsamen und passiven Mitwirkung, sondern autonome Motive der nunmehrigen Ausgestaltung des von ihrem Vater begonnenen Betrugsmanövers, aus dem sie nun etwas machen muss, das es als Antizipation gegenstandslos macht, indem sie tatsächlich nachweist, dass sie aus Stroh Gold spinnen kann.

Sie wird selbst zur vorsätzlichen Betrügerin. Sie muss schwindeln, um Zeit zugewinnen, die ihr den Beistand brigen wird, den sie braucht, um die Ziele zu erreichen, die zunächst ihr Vater für sie plante, in deren Verwirklichung sie indessen nun selbst als Akteurin eintritt und hineinwächst. Zugleich erlaubt ihr ihre List, den Betrug positiv zu wenden zu ihren Gunsten. Hier ist nun bemerkenswert, dass das schon notierte Selbstvertrauen weniger von einer männlichen als von einer weiblichen Identifikation vermittelt sein dürfte, denn es ist die Ausgestaltung einer weiblichen Haltung in der Auseinandersetzung mit Männern, um die es hier geht, und die ist weniger auf den Vater als auf eine im Dunkel verschwimmende, einzig in dem weiteren Handeln der Müllerstochter indirekt erscheinende weibliche Figur einer ‚Magierin’ oder ‚Schamanin’ zu vermuten, die eben deshalb auch nicht zufällig im Dunkeln bleibt.

Vor dem Hintergrund erscheint nun sogar der Vater mit seiner den Gang der Erzählung initiierenden Initiative als Agent der Absichten, die die Müllerstochter im Weiteren aktiv verfolgt und durch ihre Handlungen gestalte. Die Müllerstochter stellt sich damit als Zentrum der weiteren Handlung dar, insofern sie zugleich als weibliche Figur das Generationenverhältnis genau genommen aufhebt, und an die Stelle ein weibliches Handlungszentrum tritt, das den tatsächlichen aktiven und bewussten Kern der durchgeführten Handlungsintention als Ganzer ausmacht, um das herum die männlichen Akteure wie Satelliten kreisen, auf gewissermaßen gleichem Abstand. Das macht das weibliche zum heimlichen Subjekt der Erzählung. Am Ende weiß allein die Müllerstochter alles über die ganze Geschichte.

Sie hat die Absichten aller anderen Akteure in ihre eigenen eingebunden und für ihre Zwecke benutzt, und die Art ihrer Mitwirkung bleibt ihnen allen wenigstens teilweise, und auf jeden Fall auf entscheidende Weise unbekannt. Welche Information sie auch haben, und wie immer diese je nach Position zum Ganzen variieren, die Übersicht über das Ganze hat allein die Müllerstochter. Es ist die Übersicht über einen in soziale Beziehungen und Strukturen, in die Form einer Kultur überführten Betrugs‑ und Täuschungszusammenhang, deren bewusstes Zentrum sie ist. Zugleich erscheint sie als unbewegte Bewegerin. Alle Aktion bezieht sich auf sie, sie scheint passiv, ist verzweifelt, ratlos, weiß nicht, was sie tun soll und ist mit allem einverstanden, alles typologisch der Passivität als Erscheinungsbild zuzurechnende Verhaltensweisen (man kann hier leicht sehen, warum ‚Handlung’ und ‚Verhalten’ auf keinen Fall gleichgesetzt werden können und dürfen, wenn man sich nicht selbst täuschen will aufgrund eines Mangels an Unterscheidungsvermögen, also um den Preis von zu kalkulierenden Kosten), aber tatsächlich steuert sie den gesamten Handlungskontext bis zu dem prima vista glücklichen Ausgang, wenn man diesen mit dem Erfolg gleichsetzt und diesen mit der erreichten Absicht, die den Plan ihrer Handlungen ausmacht.

Aber das Märchen ist nicht das Märchen der schönen Müllerstochter. Es ist das Märchen von Rumpelstilzchen. Andererseits haben wir die schöne Müllerstochter als Zentrum der erfolgreich durchgeführten Handlung ausgemacht. Sie herrscht erfolgreich über drei Generationen von Männern, und das ist anthropologisch gleichbedeutend, dass sie den Zusammenhang der ihr gegenüberstehenden Generationenkette des Männlichen im geschlechtlichen Dimorphismus der menschlichen Existenz beherrscht, so als wäre das Prinzip des Weiblichen in diesem Verhältnis einfach nur ein sich von Generation zu Generation verschiebendes Zentrum, das die in einer lebenden Generation erreichbaren koexistierenden Generationen der Männer auf gleichem Abstand um sich herum anordnet und zu jeder die gleiche Distanz hat, die planendes Tun ermöglicht im Sinne einer aktiven Nutzung der Potentiale und Dispositionen bei überlegener Informiertheit und einer Distanz, die ein Maximum an Unabhängigkeit gegenüber den verschiedenen Gefahren abhängiger Manipulierbarkeit garantiert. Andererseits ist einzig das Männlein eingeführt in die Erzählung als aus eigener Souveränität vorinformierter Akteur, der zugleich über die für das Gelingen ihrer Absichten notwendige außergewöhnliche Potenz der Fähigkeit das Goldmachens verfügt, die sie ihrerseits nicht aneignen kann, sondern nur nutzen aufgrund einer vertragsartigen Beziehung, die mit offensichtlich steigenden Kosten verbunden ist.

Das Männchen verfügt also wirklich über überlegene Fähigkeiten und wirkliche Macht. Es Männchen taucht ja einfach auf und erklärt, dass es kann, was sie nötig hat, damit sie nicht am anderen Morgen in große Gefahr gerät, die ihr ja explizit angedroht ist, denn in diesem Spiel will der Königssohn jetzt die Einlösung des Versprechens auch sehen, das ihm vom Vater der Müllerstochter gemacht wurde ohne dass sie sogleich widersprach, aber ebenso, ohne absehen zu können, dass sie es würde einlösen können. Dies alles weiß das aus dem Nichts auftauchende Männchen und macht ihr aufgrund dieses Wissens sein Angebot. Man muss sich aber fragen, was das alles soll. Der Preis, den es zunächst verlangt, erscheint lächerlich im Vergleich zu dem, was es erhält. Das ist auch anlässlich der ersten Wiederholung so.

Dann hat die Müllerstochter nichts mehr anzubieten. Da macht das Männchen einen Vorschlag und es ist dieser Umschlag von der geduldigen Bescheidung mit einer Armspange und dergleichen, die ihm angeboten werden, Angebote, die er ohne zu handeln akzeptiert, zu dem aktiven Vorschlag, dass sie ihm ihr erstes Kind geben solle, die eine veränderte Spannung in die Erzählung bringt. Es ist etwas anderes, ich einfach mit ein bisschen Tand abspeisen zu lassen ohne Widerrede für eine weit darüber hinausgehende Leistung, die nicht substituierbar ist, und trotz dieser Unsubstituierbarkeit, das Ansinnen, das erste Kind der Müllerstochter, die damit, dass sie dies akzeptiert, ihre Verwandlung in die Königin erreicht und vollendet, als Preis für diese Umwandlung haben zu wollen, ein Ansinnen, dessen Folgen kaum absehbar sind, da sie einen sozialen Konflikt heraufbeschwören, wenn die Königin nach Erstattung ihrer Schulden erklären muss, was mit dem Kind geschehen ist, das der Königssohn, der sie durch die Heirat zur Königin erhoben hat, nachdem seine materielle Gier befriedigt wurde, doch als sein Kind betrachten dürfte, was wiederum impliziert, dass er bestimmt nicht gleichgültig auf sein plötzliches Verschwinden reagieren dürfte und dass er die Königin dafür verantwortlich machen würde.

Am Ende würde sie gar zur Hexe erklärt und verbrannt! Das aber, ihre Entlarvung als Magierin, darf auf keinen Fall geschehen. Es zöge ja am Ende die Aufdeckung der gesamten Machenschaft nach sich und damit das Ende der Anwendungsmöglichkeit dieser Taktiken im Umgang mit dem männlichen Geschlecht in der Folge der Generationen, und müsste die Position des Weiblichen in dieser Folge u. U. vollständig verändern, wie man sich leicht ausrechnen kann, zu seinem Nachteil. Der Betrug, auf dem die Herrschaft des Weiblichen beruht im Geschlechterverhältnis, darf also auf keinen Fall aufgedeckt werden.

Das ist aber leichter gesagt als getan, wenn man die Kräfte des Männchens in Betracht zieht, und den Umstand, dass die Magierin sie sich auf keinen Fall aneignen, sondern sie nur nutzen kann, wobei die Betrugsabsicht, die dann am Ende auch den vollendeten Betrug – wenn auch mit einem Trick, der genau genommen in dem dem Männchen abgerungenen Zugeständnis der Bedingung für den Verzicht auf den beanspruchten Lohn zu sehen ist – nach sich zieht als die Mittellosigkeit der Müllerstochter sie zur vorläufigen Kapitulation angesichts des Ansinnens des Männchens zwingt, wobei sie wie üblich zunächst wieder einen Aufschub erreicht, um dann mit einer erneuten List auch über die Mächte, derer sie sich bedient hat, den Sieg davonzutragen. Alles hängt daher auch wiederum an einem Haar. Der ‚Zufall’ muss dabei helfen, dem Männchen genau das abzulauschen, was gemäß der Vereinbarung der Bedingung für den Verzicht auf den zunächst vereinbarten Lohn, das erste Kind der Königin, nötig ist dafür, dass ihr die ‚Bezahlung’ erlassen werden muss. Es kommt also alles darauf an, dass der vollendete Betrug an den gegeneinander ausgespielten Gegenspielern, die gar nichts voneinander wissen, erfolgreich ist.

Aber worin besteht hier der Erfolg. Prima vista ist das klar, und auch schon gesagt. Die Königin kommt mit alledem erfolgreich durch und der mehrfache Betrug bleibt verborgen. Der Königssohn wird nie erfahren, welche Rolle er in diesem Spiel gespielt hat und spielt, und das Männchen ist, je nach aggressiver Neigung der Erzählerin, entweder aus einer auf es selbst zurückschlagenden Wut in den Selbstmord getrieben oder ‚für immer’ verschwunden. Das bleibt aber zunächst rätselhaft. Kaum ein Märchenende ist in Wahrheit rätselhafter als dieses. Es scheint geradezu eine Exzeption unter den Märchen aus demselben Umkreis darzustellen, auch im Hinblick auf das eigenartige Ausbleiben der gewöhnlichen Schlussformeln, die hier angesichts des ambivalenten Ausgangs ersichtlich nicht in Frage kommen.

Ganz offensichtlich liegen hier doch Prinzipien im Streit, die den Ausgang nicht als ‚glücklichen’ erlebbar und glaubwürdig machen können. Die Hinzufügung der Formeln, die man sich ja probehalber dazu denken kann, würde schief wirken. Warum ist das so und was soll das bedeuten? Nun, man kann sich für klüger halten als die Märchenerzähler und sagen, das sind eben Erzählungen von Leuten, die selbst wohl kaum ‚aufgeklärt’ gewesen sein dürften, und die man Kindern erzählte, die je bekanntlich viel weniger Verstand haben als der Gutachter, der sich hier betätigt und entsprechend mit Ungereimtheiten zufrieden sind, zumal wenn sie früh daran gewöhnt werden. Es ist aber Vorsicht geboten, denn man könnte hier, in der Meinung, nun habe man es aber den anderen gesagt, eine Projektion von Aspekten einer vermeintlichen Einsicht in die Beschaffenheit des eigenen Verstandes ohne die Einsicht in den Umstand der Projektion vornehmen und daher versehentlich über sich selbst mehr sagen als über den Sinn des Ausgangs des Märchens.

Bedenkt man dies, dann kann es sich empfehlen, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen besser auszusehen, indem man eine arbeitende produktive und rezeptive Intelligenz sowie deren kommunikative Beziehung vermutet und zunächst versucht herauszufinden, wie weit man damit kommt. Dann kann man sich zunächst die Varianten der Ausgänge ansehen. Die Königin ist verzweifelt als das Männchen – das schon fast vergessen war – erschien um ‚seinen Lohn abzuholen’ und es ist klar, warum das einleuchtet. Es hat ganz pragmatische Gründe oberhalb der Frage, ob sie ihr Kind aus ‚Mutterinstinkt’ liebt und einen Gedanken, der ihr in ihrer Notlage schon wenig attraktiv erschien, nun ganz undenkbar zu finden, weil sie nun Mutter eines Kindes ist, und nicht nur die Möglichkeit vor Augen hat, einmal eines zu haben, ohne die möglichen Begleiterscheinungen ihrer eigenen, damit zusammenhängenden Verwandlung kennen zu können.

Sie kann es endlich dazu überreden einer Bedingung zuzustimmen, deren Erfüllung darin besteht, binnen einer bestimmten Frist sagen zu können, was sein Name sei, also in diesem Sinne seine mit dem Namen verbundene ‚Identität’ benennen zu können. Die Königin schickt nun einen Boten herum, der das besorgen soll, und obwohl das Unternehmen so gut wie aussichtslos ist, belauscht dieser eher zufällig „dort, wo sich Fuchs und Hase ‚gute Nacht’ sagen“, also an einem Ort, der nahezu außerhalb der gewohnten und bekannten Welt sein muss, nahezu, weil es einerseits noch Füchse und Hasen gibt, und weil es andererseits Tiere sind, die sonst im Verhältnis des Jägers und des Gejagten zueinander stehen, ein Männchen, das um ein Feuer tanzt und dabei von einem Bein auf das andere hüpft und singt: „Heute back’ ich, morgen brau’ ich, übermorgen hole ich der Königin ihr Kind. Ach wie gut, dass niemand weiß´, dass ich Rumpelstilzchen heiß.“ Selbst die gefährlichste Potenz mit der man nolens volens ein Verhältnis eingehen muss, hat ihre schwache Seite, heißt, das, und die Verführung, die die Euphorie einer lange gehegten Erwartung auf das Gemüt ausüben kann, besteht darin, vor der Zeit zu triumphieren und sich diesen Triumph anmerken zu lassen in einer Welt, von der man wissen sollte, wenn man klug ist und seine Ziele erreichen will, dass sie einen dafür vermutlich sogleich bestraft mit der Vereitelung von angestrebten, aber noch nicht erreichten Zielen. Denn die anderen spielen mit und versuchen ihrerseits dasselbe, so dass man seine Absichten, voreilig ausposaunt, vereitelt sehen muss von den Anderen, deren Absichten es widerspricht, dass man die eigenen erreicht.

Der Wille zum Erfolg umgeht Rücksichten von der Art eines Versprechens und das geringste Nachgeben, das eine starke Position unnötig schwächt, bestraft sich am Ende selbst, indem es der Vereitelung der eigenen Absichten gleichkommt. Andererseits ist es recht merkwürdig, dass das Männlein sich darauf einlässt, so lange zu warten, sich auf Bedingungen einzulassen, die einem in Kauf genommenen möglichen Nachteil, einer unnötigen Schwächung der eigenen Verhandlungsposition gleichkommen, aber das wird verständlich, wenn man davon ausgeht, dass es sich um eine weibliche Geschichte, Erfindung und Erzählerin handelt, mit der wir hier im Gespräch sind, die hier eine Konstruktion erzeugt, die eigentlich einen unüberwindlichen Gegenspieler mit überlegenen Ansprüchen zunächst konturiert, in der Absicht, die Siegerin des sich konfigurierenden Konflikts möglichst blendend aussehen zu lassen, und sich dann vor das Problem gestellt sieht, diesen eigentlich unüberwindlichen Gegner dennoch besiegbar zu machen. Ein Vergleichsbeispiel kann man den Phantasien gegenwärtiger Science‑Fiction‑Serien entnehmen: Eine technologisch um etliche Exponenten überlegene außerirdische Rasse mit ungeheurer Bewaffnung, der niemand etwas entgegenzusetzen hat, greift ‚die Erde’ – eigentlich: Die USA – an. Davon sind natürlich alle betroffen und einigen sich sofort unter der widerspruchslos akzeptierten Führung der USA. Das ist aber Nebensache und ein Tribut an den Lokalpatriotismus, der sich gleichwohl an eine Gemeinde auf der ganzen Welt erfolgreich verkaufen lässt. Freihandel eben.

Der Clou ist, dass die Fremden ungeheuer böse, ungeheuer überlegen und ungeheuer entschlossen sind, was sie ganz menschenunähnlich macht und sie dafür prädestiniert, dass der Trick, mit dem sie dann endlich doch schlagartig besiegt werden können, nachdem die stärksten Waffensysteme der Erde sich als vollkommen wirkungslos erwiesen haben, also etwa das laute Abspielen eines Songs von den Everly Brothers, der sie zerfallen, schmelzen oder explodieren lässt, gänzlich überzeugend wirkt und dankbar als ‚Lösung’ akzeptiert wird. Das ist hier ähnlich, mit dem Unterschied, dass hier, bei Rumpelstilzchen, nicht einfach gesagt werden kann, dass die Guten verdient gesiegt haben und gerettet sind auf Kosten des reinen Bösen, sondern dass man nicht umhin kann, die Erwartung des Männchens in einem bestimmten Umfang als im Prinzip legitim zu betrachten und einzustufen, so dass ein erhebliches Unbehagen bleibt angesichts des Umstands, dass man zum Zeugen eines erfolgreich zu Ende geführten Betrugsmanövers gemacht wird, das zudem so viele Düpierte hinterlässt, und eine vollständige Durchdringung des sozialen Lebens, soweit man das hier in den verschiedenen behandelten Aspekten als im Umriss vollständig vor Augen hat, mit einer Mentalität falschen Ehrgeizes, Motiven, die auf Entwertung und der Reaktion darauf, Gier und Machthunger, den Vorsatz des Betruges und nicht zuletzt der Substanz nach zerrüttete Familienverhältnisse und ungeklärte genealogische Verhältnisse hinterlässt, sowie die Einsicht, dass der ‚Königssohn’ letztlich kaum auf andere Weise betrogen und an der Nase herumgeführt wird bzw. im Dunklen tappt als das betrogene Männchen, mit dem Unterschied, dass er nichts davon weiß, und wenn man davon absieht, dass die Männer, die hier gegeneinander ausgespielt werden – es ist zu erinnern: Die Aktion und der Betrug gehen von dem Vater aus, dem mittleren Glied in der dreigliedrigen und damit strukturell vollständigen Generationenkette der männlichen Linie des menschlichen Dimorphismus der Geschlechter, und sie gehen als Handlungsprinzip auf das als Zentrum der Erzählung fungierende weibliche Prinzip über, das in der heiratsfähigen Frau repräsentiert wird, gegenüber den drei Gliedern, die das männliche repräsentieren, und von dieser Position aus werden die beiden Endglieder der männlichen Generationenkette sowohl gegeneinander isoliert, konfrontiert und manipuliert auf eine kaum zu überbietende Art und Weise und die das weibliche Prinzip repräsentierende Müllerstochter alias die Königin, eine bedenkenlose Karrieristin, die zudem einen ihrer Mitspieler in den Selbstmord treibt, kommt damit durch, vor aller Augen. Das ist lange vor der weiblichen Emanzipation, aber nach wie vor repräsentativ für private Taktiken dieser Art und ihre Nutzung sowie die Spuren dieser Nutzung sind problemlos sozial präsent. Sie werden auf merkwürdige Weise eher ermutigt und bestätigt sowie mit Empfehlungen umgeben, die ihre Erweiterung um die bekannten Machtstrategien männlicher Machart und Gewohnheit nachdrücklich und nachhaltig sowie flächendeckend empfehlen.

Man kann sich problemlos die Katastrophe ausmalen, die es bedeuten würde, wenn der Königssohn nach dem erfolgreichen Abschluss mit dem ‚Verschwinden’ des ‚Männleins’ oder seinem Selbstmord davon erführe, mit welchen Machenschaften die Müllerstochter sich ihren sozialen Aufstieg erkämpft hat. Zu vermuten wäre, dass er mit gutem Grund die Vaterschaft anzweifeln müsste, dass er sich betrogen sehen müsste, wenn auch mit dem Erfolg der Bereicherung, dass er im Gespinst einer sorgfältig gewobenen Lüge gelebt hat in einer ganz und gar falschen Überzeugung von dem Ganzen sowie seiner Rolle darin und wir könnten am Ende einem Mord des Königssohnes an der Müllerstochter, einem weiteren Selbstmord und/oder einem Kindesmord beiwohnen oder allem zusammen.

Auch nach dem Ausgang hängt nicht nur nach wie vor nunmehr das gesamte soziale Gefüge an einem seidenen Faden der Lügengespinste der Müllerstochter, sondern ist auch stabilisiert auf dem Niveau der Struktur und Sozialisationsform gewordenen Lüge und des Betruges. Das ist nicht nur wenig wünschenswert. Es ist die Struktur gewordene Katastrophe.
Es fällt auf, dass der Ausgang auf diffuse Weise offen bleibend wirkt. In einer Variante besteigt das Männchen einen Besen und fliegt damit zum Fenster hinaus. Es nimmt also die (phallisch gedachte) Potenz mit und hinterlässt ein um die Dimension der Potenz gebrachtes Gefüge, so als trennte man einen Fluss von seiner Quelle: Das im Flussbett befindliche Wasser fließt noch eine Weile weiter bevor auffällt, dass es austrocknen wird. So gesehen kann das ‚nie wieder’, das sein Verschwinden als endgültiges Geschehen kennzeichnet kaum als Trost erscheinen, zumal angesichts dessen, was das hinterlässt. Denn nun ist auch – von der Müllerstochter abgesehen – der einzige informierte Zeuge des ganzen ausgebreiteten, zum Inbegriff des Generationenverhältnisses und der sozialen Beziehungen wie der menschlichen Kommunikation gewordenen Betruges verschwunden. Das immerhin denkbare Eingeständnis der Müllerstochter gegenüber ihrem Gatten könnte also nicht einmal mit Sicherheit auf seinen Wahrheitsgehalt hin nachgeprüft werden, es sei denn in der Form der Überprüfung der Vaterschaft des Kindes – die zur Zeit der Entstehung der Geschichte nicht im Bereich der Möglichkeiten lag – aber der Zufall könnte auch dies verdecken.

Es hat einen ausgesprochen unheimlichen Aspekt, derart zum Zeugen krimineller Machenschaften gemacht zu werden, die am Ende auf Kosten von Düpierten, die zum Besten gehalten werden und eines Selbstmordes aufgehen und als vollendete Erzähltatsachen einfach stehen bleiben. Das Märchen spricht aus einem Abgrund von Hass und Rachewünschen zum Zuhörer und rechtfertigt die Handlungen von Akteuren, die jede Hemmung verloren haben, die ihnen soziale Rücksichten auferlegen könnten, die aber andererseits im sozialen Gehäuse gegen deren Sinn und Erscheinung agieren können, indem sie erfolgreich und unbemerkt zugleich Ziele verfolgen und durchsetzen, ja überhaupt formulieren können, die nicht verträglich sind mit dem Sinn der dabei in Anspruch genommenen sozialen Institutionen, einmal abgesehen, was sich hier als Inbegriff sozialer Kommunikation darstellt, unter allen Beteiligten, von denen das Männchen aufs Ganze gesehen noch am ehesten den Eindruck macht, dass es sich, obwohl es über die größte Macht mit der größten Reichweite verfügt, sich am ehesten noch an die Regeln hält, die es sich sogar selbst auferlegt, obwohl man es dazu nicht zwingen könnte, und die es sich angesichts eines Schauspiels auferlegt, das in der Hauptrolle die verzweifelte Unschuld aufbietet, die in der Tat die bedenkenloseste Verbrecherin und Betrügerin ist, die das gesamte soziale und familiale Gefüge missbraucht und aufmischt um ihre Ziele zu erreichen, die Ziele einer aggressiven sozialen Aufsteigerin, die ‚weibliche Rollendarstellung’ dazu nutzt, hinter der Maske der gequälten Unschuld den Mord zu planen und den Betrug zu realisieren und die eigenen Familienmitglieder in die ewige Gefangenschaft der gelungenen Täuschung abzuführen, ohne dass diese davon auch nur eine Ahnung hätten oder die Chance sich eine zu verschaffen.

Die ‚aggressivere’ Form des Ausgangs ist anders. Kaum verständlich ist die merkwürdige Todesart des ‚Selbstmordes’ des Männchens, das mit dem einen ‚vor Wut’ Fuß aufstampft, so dass es tief in die Erde versinkt, um sich dann, ebenfalls ‚aus Wut’ am anderen Bein zu packen um sich damit ‚mitten entzwei zu reißen’. Was mit der Leiche geschieht und wie das dann erklärt wird, denn es geschieht doch immerhin im Zimmer der Königin, wird nicht erzählt, Hier ist die Erzählung eigenartig nachlässig. Das Männchen wird auf unangemessene Weise, die in keinem Verhältnis steht zu seiner zuvor in Anspruch genommenen Potenz (die doch das Ganze überflüssig machen müsste, es sei denn, dem Männchen fehlte die Potenz ein Kind zu zeugen, so dass es auf diesem Umweg daran kommen will) infantilisiert. Unvermittelt tritt dem Zuhörer ein einfach als lächerlich in Raserei versinkendes Kleinkind im ‚Trotzalter’ entgegen, oder in einem Alter, das man dafür gerne immer noch gelegentlich dafür zu halten beleibt ohne sich zu fragen, wie man eigentlich selbst daran mitgewirkt haben könnte an dem, was einem dann ganz außerhalb jedes Zusammenhangs als solches ‚Verhalten’ erscheint.

Das steht nicht zuletzt in einem krassen Gegensatz zu der Position in der Generationenreihe, die das Männchen, das freilich von Anfang an ein wenig zu deutlich als Karikatur eines alten (männlichen) Menschen erscheint, in der Generationenreihe hat, und im Gegensatz zu seinen überwältigenden Fähigkeiten. Man fragt sich nach dem Alter der Erzählerin, die sich einer solchen Perspektive auf die alten (Männer) so sicher ist, und nach dem sozialen Milieu, das eine derart konturierte Figur als problemlos empfindet und entgegennimmt, also die darin bemerkliche Entwertung und Lächerlichmachung, die damit also keineswegs modern erscheint zustimmend behandelt. (Überhaupt legt das den Gedanken nah, dass die gegenwärtige Altendiskussion, die politischen Rang hat, ebenso wie die immer mehr als Problem ins Bewusstsein rückende Praxis der Altenbehandlung in einer Art von Altenguantanamos, die um sich greifenden Patiententötungen auf Intensivstationen, von denen alte Menschen betroffen sind, spezifisch moderne Probleme sind, die zusammenhängen sollen mit dem Umstand, ‚dass die Menschen immer älter werden’.

Die Erzählung von Rumpelstilzchen legt anderes nahe. Dieser elementare und ganz unverdeckte Hass ist älter und dürfte eher damit zusammenhängen, wozu verantwortliche Eltern in den auf abstrakten Machtverhältnissen und den mehr oder weniger restlose Unterwerfung der Individuen unter die Abstraktionen der Macht gezwungen werden gegenüber ihren Nachkommen, um die ‚für das Leben vorzubereiten’ und ‚fit zu machen für das Überleben’, ein kaum freiwillig zur Gänze übernommener oder blind ausgeführter Auftrag, der sich an den zu Agenten der strukturellen Gewalt degradierten Elterntieren später rächt, weil die Erinnerung der von ihnen in einem unerklärten und ohne mehr als einen schwachen Abglanz von Bewusstsein ausgeführten Auftrag Traktierten sie als Personen vor Augen hat, die verantwortlich gemacht werden, und nicht als terrorisierte Terroristen des sozialen Lebens, das ihnen so gut oktroyiert ist wie denen, an die sie weitergeben, was sie gelernt haben.

Sie leben und handeln in dem Bewusstsein einer illusionären Individualität und Willensbestimmung, an der nichts wahr ist als die Ideologie, sie seien, als was sie sich missverstehen, und werden, weil sie darauf zur Zeit bestanden haben, von denen, die ihnen das abnehmen lernen mussten dann als solche identifiziert und behandelt. Es ist Zeit, die Verantwortung für die Erziehung abzugeben und damit den Willen zur Fortpflanzung im Dienst und Interesse von Machtmonstren, die ihr Personal rekrutieren, um die nachwachsende Generation als Futter für ihre Maschinen und als Gelegenheiten für die Selbsterhaltung organisierter und von Gruppen preiszugeben, die parasitär davon leben, dass sie diese Aufgabe der als Politik und Erziehung getarnten staatlichen Formen der organisierten Massentierhaltung bereitwillig und ohne zu wissen oder verantworten zu können, was sie tun durchführen.

Es ist eigenartig, dass das Bild des Männleins, das sich vor Wut ‚mitten entzwei reißt’ eher ein flächiges und wenig glaubwürdiges Bild hinterlässt. Abgesehen von dem verzerrten und grotesken Bild des infantilen Trotzes, der in kein Verhältnis zu der zuvor herausgestellten Bedeutung des Männleins für den Gang der Erzählung steht, stellt sich eher die Vorstellung eines Tuches oder eines Papiers ein, das mitten entzwei gerissen wird. Dass dabei etwas zerrissen wird, ist also klar. Die Folgen sind erkennbar weit reichend, denn an der Endgültigkeit dieser Zerreißprobe kann weniger Zweifel sein als gelegentlich des Ritts aus dem Fenster. Dieser Ausgang macht allerdings etwas anderes durchsichtig: Dass das betrogene Männchen die produktive Potenz mitnimmt, die mit ihm auf Nimmerwiedersehen aus dieser zerstörten Familie verschwindet. Der vollendete Chaotenhaufen wird auf Entzug gesetzt und kann sich dann überlegen, wie er weitermacht.

Der ehrgeizige Vater mit dem Hang zum Betrug, der seine gehorsame und gelehrige Tochter zum Ausbau seiner Betrugsabsichten zu einem vollendeten und durch die Lüge und die Simulierung der Unschuld verborgenen Hinterhältigkeit zerstörten System erfolgreich anhält, der blöde Königssohn, der sich etwas auf seine soziale Position oder seinen Reichtum einbilden mag, und weniger auf die ihm unbekannte Rolle, die er spielt, schließlich diese gerissene Betrügerin selbst, die die Spinne in diesem sozialen Netz ist, die überlässt das Männlein in der einen Version einfach sich selbst. Sie können sich darüber freuen. Aber darüber sagt die Erzählung auch in dieser Variante nichts. Sie sagt auch nichts darüber, dass sie sich nicht freuen. Sie überlässt es der Phantasie des Zuhörers, sich vorzustellen, was dies alles nun an möglichen weiteren Folgen gebären könnte.

Das es sich um Beschreibungen einer Entwicklung handelt, in der sich die Geschichte von Strukturen darstellt, die sich im informierten Bewusstsein der Beteiligten nur partiell darstellt, die also einer eigenen Entwicklungslogik folgen, die das Bewusstsein der Beteiligten lediglich als eines ihrer determinierenden und determinierten Momente mitschleppt, wie man an allen Akteuren sehen kann, und da dieses Bewusstsein selbst ein Produkt der Systemgeschichte ist, kann man es auch nicht als unabhängige Variable in eine Überlegung einsetzen. Das gilt auch für die nunmehr zur Königin aufgestiegene Müllers‑ oder Gastwirtstochter. Von ihrem Kind, das ja nun mit der Lüge leben lernen muss, und ihren weiteren noch denkbaren Kindern ist nicht zu sprechen. Das erforderte eine ganze eigene Untersuchung, die allerdings durchaus im intellektuellen Zukunftskegel einer mit den entsprechenden Voraussetzungen ausgestatteten Intelligenz liegt. Es ist aber hier zunächst nicht das Vorrangige. Es ergibt sich. Konzentrieren wir uns auf den Ausgang.

Denn die Erzählung heißt ‚Rumpelstilzchen’. Das ‚nie wieder’ mit dem die Erzählung endet, kann also aus verschiedener Perspektive als Erleichterung über das Ende einer anhaltenden Bedrohung (mit der Wahrheit) in einem System werden, das sich als systematisierte Lüge etabliert und auch einen entsprechenden Mythos, eine ideologische Selbstbeschreibung entwickeln wird, die unvermeidlich die Lüge weiterspinnen und in eine Tradition umwandeln muss, die dann als Grundlage des rekonstruierten Selbstverständnisses des sich über die Generationen hin fortsetzenden Systems dienen muss und sich in der Funktion einer Religion oder einer Mythologie konfiguriert, immer mit mehr oder weniger Wissenschaft, aber ohne eine Möglichkeit, die systematisierte Lüge, aus der es generiert wurde, jemals aus sich selbst heraus zu durchdringen in Richtung auf den tatsächlichen generativen Zusammenhang des Systems. Ich erspare mir mehr dazu zu sagen als dass man eine Fähigkeit zur Empfindung dessen, was das bedeutet braucht, um zu begreifen, wie unheimlich dieser Gedanke ist. Deshalb ist es umso bemerkenswerter zu wissen, dass Rumpelstilzchen kein Element des Systemzusammenhangs bildet. Das System kann sich vielmehr erst vollständig als solches konsolidieren wenn Rumpelstilzchen endgültig ausgeschieden ist aus der Gegenwart des Systems.

Es bedarf seiner Exkommunikation, seiner Ausgrenzung, um sich zu etablieren und die Systemgenese in der Erinnerungslosigkeit der an ihm partizipierenden Bewusstseinsformen verschwinden zu lassen zugunsten des Mythos der Systemgenese bzw. der Systemreligion, die an die Stelle des Wissens treten muss wenn das System als solches eine Chance auf erfolgreiche Selbsterhaltung über seine Gründermutter hinaus aufrechterhalten können will. So bildet sich endlich auch eine neue Tradition, die den Systemkontext sinnvoll ordnet und stabilisiert, und an dem sich die an ihm partizipierenden Bewusstseinsformen auszurichten vermögen. Was verschwindet, ist die produktive Potenz, die das System generiert hat und die als Leerstelle im Unbewussten der partizipierenden Bewusstseinsformen hinterbleibt. Das ist auch ein Beleg dafür, welchen Sinn die Abwehr eines konstitutiven Unbewussten hat, dessen Existenz als Voraussetzung eines Systems, das nichts von ihm weiß und auch nichts wissen will, aus guten Gründen, und welchen Stellenwert diese als solche erkennbare Abwehr deshalb hat, weil hier ja zunächst die Systemgenesebedingungen gezeigt worden sind, und dann die Notwendigkeit der Konstituierung einer dem Bewusstsein der an ihm partizipierenden Bewusstseinsformen aus immanenten Gründen der Voraussetzungen der Systemgenese nicht mehr zugänglichen Mythos, der zu den konstitutiven Bedingungen seiner faktischen Existenz notwendig gehört, gleichwohl eine der faktischen Systemgenese nicht angemessene Konstitutionsgeschichte des faktischen Systems darstellt.

Diesen Sachverhalt stellt das zunächst spektakulär als Selbstzerstörung des vor Wut besinnungslos rasenden Männleins erscheinende Zerreißen eines Lebenszusammenhangs dar. Dieser ist verkörpert in der grotesken Gestalt des dürren Männleins, also phänomenologisch in einer Gestalt, die zur Marginalisierung geradezu einlädt. Es ist die Sicht, die es und seinen Untergang schon im Dienst der Systemkonsolidierung gestaltet. Da sein Untergang notwendig ist, ist es gut, die Gestalt schon erzähltechnisch in die Erscheinungsform zu bringen, die die Erwartung vorbereitet, dass sie endlich verschwindet bzw. liquidiert wird. Aber es geschieht doch alles mit einer gewissen Vorsicht, die den Vorgang nicht zu spektakulär machen soll. Daher ist der Kompromiss, der die Erzählerin dahin bewegt, die Gestaltung des Abgangs nicht als Liquidation durch Systemprotagonisten erscheinen zu lassen, zunächst klug gewählt. Andererseits eröffnet das Zugeständnis der Selbstzerreißung doch auch – es ist eben ein Kompromiss, der seine Kosten hat, die sich nicht beliebig vermeiden lassen – wieder Verständnismöglichkeiten, die der Ausgang der Fahrt zum Fenster hinaus auf einem Besen verwehrt sind.

Hat diese den Nachteil, dem verbannten Wesen zuviel Eigeninitiative zugestehen zu müssen – es entfernt sich auf Nimmerwiedersehen auf eigene Initiative - und eine Potenz, die sich in der Systembilanz als Defizit bemerklich machen muss, einfach weil sie aus dem System verschwindet, von dem nichts Positives bleibt als die Konsolidierung des vollendeten Betrugs, eines organisierten Verbrechens, und eine systemcharakteristisch werdende Täuschung, deren Dokumentation und Korrektur mit dem sich abzeichnenden Verschwinden des aktualen Systemkerns (der Müllerstochter) aus dem Bereich des Möglichen rückt, so hat sie den weiteren Nachteil der Gewissheit, dass das Verschwundene nicht aus der Welt ist, sondern irgendwo – und hier muss es beunruhigend wirken, dass man nicht einmal weiß, wo – weiter existiert, eben nur ‚nie wieder’ an den Grenzen und in der Bewusstseinsreichweite der systematisierten Lüge und des Betrugs identifizierbar auftaucht, was zugleich heißt, dass man nicht wissen kann, aufgrund eines Mangels an Information, in welcher Form es sich vielleicht anderswo weiter betätigt und seine Potenz geltend macht, auf eine Art und Weise, die sich angesichts eines vermutbaren Zusammenhangs weit gespannter kommunikativer Netze kaum kontrollieren oder als Wirkungsgröße aus der verschwundenen Potenz und Information identifizieren lässt.

Das mag man sich dann schlaflose Nächte kosten lassen oder nicht. Lady Macbeth ist das Paradigma, das hier u. a. in Frage kommt als von anderswoher zugängliche Beschreibung eines solchen pathologischen Systemkerns. In Sozialisationstechniken umgesetzt kann das ungeahnte Folgen haben angesichts der Erinnerungslosen Tradierung von angelernten Verhaltensweisen, denen kein Bewusstsein der sozialen Ursprünge, in denen sie wurzeln und daher auch keine sie begleitende Wahrnehmung der sozialen Folgen, die sie generieren, so dass sich auf diese Weise ganze Folgegenerationen von ‚naiven Verbrechern’ herstellen lassen, die sich für den Inbegriff des rechtschaffenen Gesetzeshüters zu halten vermögen und in diesem Bewusstsein nicht nur flächendeckend und nachhaltig eine aus diesem Bewusstsein hervorgehende Politik systematischer sozialer Zerstörung, sondern darüber hinaus eine mit dem besten Gewissen im Bewusstsein des Rechts die Zerstörung der Grundlagen des Lebens aller Menschen betreiben können, während sie sich gegenseitig für ihre nachgewiesene Menschenliebe und ihre Verdienste um die Sorge für ‚unsere Umwelt’ mit pressewirksam inszenierten Auszeichnungen belohnen. Man erinnert sich an die Ordensbrüste verdienter Generale des K. u. K‑Reiches ‚Kakanien’ oder der Sowjets.

Das legt eine anderes Ende nahe, wenn man die hier in der Auswahl der günstigsten Möglichkeiten sich herumtreibende Phantasie ins Auge fasst, die den Kompromiss des Ausdrucks und der Symbolisierung sucht, der ihre Wünsche am besten darstellt, indem er ihnen am nächsten kommt. Der Vorteil des letalen Ausgangs liegt hier auf der Hand. Aber es wäre von Nachteil, ihn als Auftragsmord zu inszenieren. So gesehen ist der Selbstmord dann das Schema der Wahl. Es ist die Selbstdestruktivität des narzistisch tödlich verwundeten Männchens, das die Müllerstocher endlich in die letale Falle des unnötigen Zugeständnisses gelockt hat, das seine Selbstzerstörung schon vorwegnimmt. Das Zugeständnis besteht darin, dass sie wiederum Zeit schindet und in dieser Zeit die Information beschaffen lässt, die das Männchen unvorsichtig ausplaudert, weil es seine Erwartungen nicht zügeln kann. Von Bedeutung ist der vorwiegende Einsatz des Schweigens als Mittel, ihre Umgebung in Bewegung zu setzen für ihre Zwecke.

Das muss sich auch hier wieder bewähren und es scheint seinen Dienst zu tun. Das enttäuschte Männchen, tief verwundet über den heimtückischen Betrug, an dessen Möglichkeit mitzuwirken es sich aufgrund einer nicht geklärten Beeinflussbarkeit herbeigelassen hat, reißt sich mitten entzwei. Und das war’s, sollte man denken. Was bleiben mag, ist zwar das Defizit eines sich in the long run nicht selbst durchsichtigen sozialen Systems, das sich mit Hilfe einer ihm als Begründungsmythos dienenden Pseudogeschichte seiner eigenen Genese konsolidiert zu haben meint, aber was soll’s, wenn’s keiner merkt? Denn die in der anderen behandelten Version offen bleibende Gefahr der Wiederkehr des Verdrängten ist hier ja gebannt und geht mit der Platzhalterin des Systemkerns der konsolidierten Lüge endgültig aus jeder möglichen subjektiven, als Bewusstsein konfigurierten Erinnerung verloren.

Das kann, mag man meinen, dann so laufen. Aber was ist mit dem Zerrissenen. Wir erfahren, wie gesagt nichts von einer Leiche, die doch im Zimmer der Königin gefunden worden sein müsste. Ebenso wenig ist von einem Begräbnis die Rede. Die Phantasie der Erzählerin war am Ende mit zu wenig und zufrieden und hat sich zu voreilig beruhigen lassen von der Empfindung der Befriedigung durch ihre Phantasien. Andererseits sind das lächerliche Details. Aber ein guter Kriminalist wird hier Einspruch erheben. Es gibt in der Tat bei genauer Betrachtung des Texts keinen Hinweis darauf, dass da zum Beispiel ein Mensch Selbstmord begangen hätte, zumal die Technik derart unwahrscheinlich ist, dass man gut sagen kann, dass hier eine Unmöglichkeit beschrieben wird. Aber warum nun wieder dies. Nun, auch das ist ein Kompromiss, zwischen einer ungemein aggressiven, einer mörderischen Phantasie, die einen gehassten Gegner aus dem Feld räumen will, aber sie ist auch eine infantile Phantasie, die aufs pure Verschwinden hinaus will, auf das Aus‑dem‑Wege‑räumen, und andererseits doch die Wirklichkeit des Mordes an einem Menschen scheut, also allzu reale Züge dieser Phantasie nicht geben will. Was bleibt ist die Entschlossenheit einerseits, das Männchen loszuwerden, aber doch wieder so, dass man sich die Hände weder an dem selbst ausgeführten Mord mit Blut besudelt, noch an der Leiche und den Beschwerlichkeiten der Beerdigung, einmal abgesehen von der Rechtfertigung des begangenen Mordes. Unerklärlich bleibt, warum es keine verbürgte Variante gibt, die das Männlein aus Enttäuschung traurig werden und weinend aus dem Haus laufend, am Tisch zusammensinkend usw. zeigt.

Die Möglichkeit einer Trauerreaktion ist anscheinend ausgeschlossen. Das ist ein Hinweis darauf, in welcher Richtung es auf keinen Fall zu einem Kompromiss kommen kann, nämlich in einer, die dem Hass nicht genügt. Die Anteilnahme, zu der eine in der Erzählung verbürgte Trauerreaktion einlädt, wäre zugleich eine, die zur Reintegration des exkommunizierten Männleins einladen könnte. Sie kann deshalb weder erzähltechnisch verbürgt werden noch überhaupt in den Bereich der möglichen Wahrnehmung treten. Auch widerspräche der sich derart anbahnende Kompromiss dem Arrangement des vorsätzlichen Betrugs und der arglistigen Täuschung, die keinen Zeugen, zumal einen von dieser Potenz brauchen können. Denn wir erinnern uns, es ist die produktive Potenz Gold zu machen im Unterschied zum bloßen Besitz des Goldes, die das System überhaupt erst hat schaffen können, und die die Betrügerin nur um den Preis eines Zugeständnisses hat nutzen können, die sie lieber vernichtet sehen will als dass sie sich anderswo bestätigt, vielleicht unter wesentlich günstigeren Umständen, und mit schwer absehbaren Folgen. Denn das Männlein verfügt auch über die Information über die Konstitutionsbedingungen des von ihr zum System ausgebauten und von ihr beherrschten Betruges und der Täuschung. Aber der Mord bleibt blutleer und steril, ohne Leiche und ohne Begräbnis.

Es ist ein papierner Kompromiss, bei dem alles auf dem Blatt des Papiers im Rahmen der Fläche bleibt, auf der der Text sich ausbreitet. Tatsächlich wird dem ein Ende gesetzt. Es handelt sich um eine Aktenvernichtung. Wie das vor sich ging, weiß keiner genau, es erfolgte unter ungeklärten Umständen ‚von selbst’. Zur Projektion der Aggression bedarf es einer gewissen Personifizierung des Vorgangs im Kontext der Erzählung. Das ist hier die Leistung der Phantasie, diese Aspekte zu vereinen. Dann aber ließe sich das Ganze auch so verstehen, dass das Männchen den Vertrag, die Vereinbarung zerreißt, vor Wut versteht sich, soweit die notwendig ist, damit man das tut, und jetzt kann man fragen, worin dieser Vertrag, diese Vereinbarung bestand, und das kann ein erhellendes Licht werfen auf die bisher unbeantwortete Frage, warum das Männchen sich überhaupt dazu herbei läst, seine Potenz mit einer Person vom Schlage einer verzweifelten Müllers‑ oder Gastwirtstochter zu teilen, die im sozialen Gefüge und unter dem ihr verordneten Verhängnis des elterlichen Auftrags, von dem wir nur begründete Vermutungen anstellen können über den Aspekt, der sich aus dem Verhalten des Vaters erschließen lässt, die Orientierung verloren hat und sich auf Verpflichtungen einlässt, von denen sie weiß, dass sie ihnen nicht aus eigener Kraft gewachsen sein wird, und die nichts anzubieten hat als ein paar billige Armreifen oder ein wenig Tüll?

Das Zerreißen ist also ein Äquivalent des Verschwindens, aber es enthält mehr Schadenfreude, mehr entschlossene Mordlust und mehr Wunsch nach einer endgültigeren Beruhigung, dafür weniger Zugeständnisse an die unangenehme produktive Potenz, aus der die Müllerstochter ihr System aufgebaut hat. Denn wenn diese Potenz auch willkommen war, als es darum ging, dass die Dinge so laufen wie sie das wollte und die genutzten Antagonisten so spuren wie sie das wünschte, so ist die Erinnerung daran doch auch eine unangenehme Erinnerung an ihre faktische eigene Impotenz, die den Einsatz des Männchens notwendig machte, damit sie überhaupt überlebte, und das ist dann, wann man jemanden ebenso entschlossen wie verlogen und infam betrügt natürlich auch ein Gewissensproblem, das sich nicht ohne Weiteres abschütteln lässt. Und das ist dann besonders schwierig, wenn der Betrogene und das, was er repräsentiert mehr oder weniger gegenwärtig bleibt. Denn der darf dann auch streng genommen nirgendwo anders mehr hingehen, angesichts des unkontrollierbaren Risikos seiner puren Existenz, von dem, dass er von seiner Potenz Gebrauch macht ganz abgesehen. Das Männchen zerreißt die Verbindung, symbolisch, indem es sich mitten entzwei reißt.

Das entspricht einem aus der ‚Trennung der Liebenden’ bekannten psychologischen Sachverhalt. Vermutlich ist er der Vater des Kindes. Aus Stroh Gold machen könnte ja auch heißen: Aus einer Unfruchtbaren, einer Frau ohne Empfängnis eine Schwangere machen. Das mag eine Spekulation bleiben, ein Nebenaspekt, der sich im Wirrwar überzogener Symbolismen leicht verirrt. Es bleibt damit bei der Notiz. Was die Vaterschaft betrifft, lässt die Geschichte aufgrund der ganzen Anlage den Spielraum, der über den Terminus der Potenz dann auch die Inbetrachtnahme des Umstandes heranzieht, dass die Müllerstochter eine junge Frau ist, die da in ihrer Kammer die ganze Nacht allein ist um aus Stroh Gold zu spinnen. Hm. Nun ja, so könnte man das auch nennen, wenn man Kindern ein Märchen erzählen will, das nichts Wesentliches ungesagt lassen soll, ohne damit sich schon festzulegen, wie man das ausdrückt, also in welche – positiv oder negativ oder neutral besetzte – kultureller Metaphern man das kleidet. Es gibt andere Indizien. Nichts wird darüber berichtet, dass die Königin sich ausdrücklich freut über den Ausgang. Sie erscheint erleichtert darüber, dass sie ihr Kind nicht abgeben muss und dass ihr Betrug unaufgedeckt bleibt. Auch hier ergeben sich wieder eine Reihe ungenutzter Alternativen. Das Männchen hätte den Königssohn informieren können über die Art seines Beistandes, und damit über den Betrug und die Täuschung und den Vorsatz dazu, den die arme schöne Unschuld zweifellos in die Tat umsetzte mit Hilfe des Männchens, das ihr dazu auf jeden Fall recht war, ohne dass sie zuvor den Königssohn gefragt hätte, ob es auch ihm recht sei, was doch, wenn es wirklich bloß um Gold aus Stroh spinnen gegangen ist, kaum anstößig gewesen wäre. Es ist aber einigermaßen klar, warum diese Information nutzlos war.

Es ging ja um das Kind und das wollte die Königin dem Männchen nun einmal nicht geben, obwohl sie es versprochen hatte. Es ist müßig sich darauf hinaus zu reden, dieses Versprechen sei in einer Situation gegeben worden, in der das Ansinnen auf eine Nötigung hinausgelaufen wäre, und damit also unter anderen Umständen unwirksam. Es ist mindestens ebenso unsittlich, das Versprechen zu geben aus der Gier heraus, die nichts anderes kennt als das Festhalten an einem aggressiven Konzept des sozialen Aufstiegs, das entschlossen und brutal – immer im Gewand der züchtigen Unschuld – darauf hinausläuft die in die Reichweite des Kalküls geratenden Personen rücksichtslos zu nutzen ohne diese Absicht und den mit ihr verbundenen Betrug und den Vorsatz der Täuschung mitzuteilen. Sich also auf eine Notlage zu berufen ist da ein Versuch, mit denselben taktischen Mitteln noch mehr Leute einzuseifen und bei einer Betrügerin kaum dazu angetan überzeugend zu wirken, es sei denn dass man sich davon überzeugen kann, mit welchen Mitteln sie ihre Ziele verfolgt, indem man die Wirkung ihrer Anwendung am eigenen Leibe verfolgt.

Die Trennung ist für gewissenlose Menschen nicht dasselbe Problem wie für solche, die eines haben. Bindungsfähigkeit zu loben oder zu schätzen ist u. U. gar nicht angemessen in einer sozialen Welt, in der die systematische Nutzung von Anderen Teil privater Aufstiegsstrategien ist. Wir müssen aber bei dem Männchen einen Charakter voraussetzen, der die Fähigkeit zu tiefgehenden sozialen Bindungen wesentlich ausmacht. Das ist ersichtlich daran, dass er überhaupt eintritt in eine Verpflichtung angesichts der erkennbaren Not eines anderen, der Müllerstochter, und es scheint hier erkennbar zweitrangig zu sein, dass sie in Not ist, obwohl sich das von einer hinterhältigen, sich selbst misstrauenden Seele auch so auslegen lässt, dass es gerade diese Notsituation war, die das Männchen seinerseits ausnutzen wollte. Das ist aber unrealistisch, auch im Reich der Phantasie, oder vielmehr gerade im Reich der Phantasie, denn nichts ist so empfindlich für kleine Schwankungen im Gefüge der Logik des Wunsches wie die frei arbeitende Phantasie. Der Einwand verfängt nicht angesichts der dem Männchen zugestandenen Potenz, ohne die das zum System des Betrugs ausreifende Handeln der Müllerstochter nicht wirklich geworden wäre. Es war die erkennbare Notlage und Verzweiflung, die das Männchen auf den Plan rief und sein Angebot machen ließ.

Der Müllerstochter stand es frei, es abzulehnen, aber die musste sich nicht erst zum Betrug auch in diesem Fall entschließen, es ist einfach ihre Natur zu betrügen und zu täuschen, und sie war längst auf diesem Pfad in just die Lage geraten, in der das Männchen sie fand, ohne sie etwa in diese Situation hineinmanöveriert zu haben. Was sie in diese Lage gebracht hatte, war ihr verkommener, moralisch unverantwortlicher Charakter, ihre Wahllosigkeit in Bezug auf die Mittel, und ihre Bedenkenlosigkeit in Bezug auf den Missbrauch, den sie trieb wie sie ihn mit sich treiben ließ. Ihr fehlten einfach die Maßstäbe, die sie darauf aufmerksam machen konnte, in welcher Gesellschaft sie sich befand. Es bedarf dann dieser ‚Gemeinheit’, die selbst denen, die behilflich sein wollen, zu unterstellen, sie hätten die niederträchtigen Motive, die dem Sumpf der eigenen Seele entsteigen wie Gasblasen, in deren trüben Oberflächen dieser Charakter dann meint das Gesicht seines Gegenüber zu erblicken, weil es so verzerrt wirkt, so als sei die immerhin korrekt wahrgenommene Verzerrung nicht eine Wirkung der dem Gefängnis der eigenen Phantasie entstiegenen Gespenster. Davor, dass man diesen erliegt bewahrt einzig eine getreue Beachtung der Grundlagen der Interpretation. Im Falle von Rumpelstilzchen ist das so, dass es tatsächlich das einzige Wesen ist, das sich an kommunikativen Formen orientiert, die frei von Gewalt sind und frei von Betrug und Täuschung.

Am Ende sorgt seine verfrühte, etwas naive Freude, der es Ausdruck verleiht in Erwartung dass es ‚das Kind der Königin’ bekommen wird, das ihm als Lohn für seinen Beistand versprochen worden war von der Frau, der er beistand, dafür, dass es – sogar mit seinem Einverständnis – endgültig betrogen werden kann und seine Enttäuschung grenzenlos werden muss, zugleich aber auch die Einsicht hergibt, dass sich nicht erreichen lässt, was es wollte. Belohnt werden die Schurken. Und sie bleiben unter sich, in einem Verbund der Täuschung, in der einer meint, den anderen zu beherrschen und der, der am meisten überzeugt ist von seiner Omnipotenz (der Königssohn) der am wenigsten über seine wirkliche Lage Informierte ist, während tatsächlich die Intriganz einer rücksichtslosen Betrügerin ihn beherrscht und das soziale Gefüge, in dem er existiert.

Das Männchen zerreißt sich selbst, indem es sich von der Betrügerin, der möglichen Mutter seines Kindes trennt. Dessen nomineller Vater wird ein anderer, der begründete Zweifel an dieser Vaterschaft haben könnte, wenn er die Umstände kennte, unter denen das Männlein in der Nacht in der Kammer der Müllerstochter Stroh zu Gold gesponnen hat, nicht die dazu ganz unfähige Müllerstochter. Diese kommt mit der doppelten Beute davon, und täuscht die Fähigkeit Gold zu machen selbst vor, indem es sich an die Stelle des Männchens bringt, das übrigens eine ansonsten weibliche Tätigkeit ausübt indem es für die Müllerstochter spinnt, auch wenn es sich um einen besonderes Material und eine besondere Art der Verwandlung dieses Materials handelt. Und sie entzieht dem Männchen das sie betrügt das Kind. Das ist die Zerreißprobe, der sich das Männchen unterzieht. Was wird dabei genau zerrissen? Das soll im Folgenden untersucht werden.

Jede Trennung ist eine Art von Tod. Jede endgültige Trennung ähnelt umso mehr dem Tod als sie sich der Endgültigkeit des ‚niemals wieder’ annähert, also einen Fixpunkt in der Zeit bezeichnet, jenseits dessen es keine Begegnung und kein Gespräch mehr geben wird oder geben kann. Das Ende einer Erzählung ist nicht unbedingt gleichbedeutend damit. Es kann so gestaltet werden, dass der Zuhörer den Eindruck einer offenen Zukunft behält, in die sich seine eigene Phantasie sofort hineinbegibt um sie sich, wie immer konkret und intensiv und detailliert auszumalen, ein Vorgang, der sich abbrechen lässt dort, wo man die beruhigende Vorstellung hat, dass man weiß, wie diese Entwicklung verlaufen könnte, oder wo die Beunruhigung über das, was man absieht diesen Abbruch nahe legt. Man kann das Ende der Erzählung aber auch so gestalten, dass man das Ende auch endgültig werden lässt. Entsprechend sind die beiden Ausgänge der Erzählung unterscheidbar in ein endgültiges Ende und eines, dass eine unbestimmte, und vielleicht auch nicht sinnvoll auszumalende Zukunft, ein USW. offen lässt. Die Ausgänge unterscheiden sich also in Hinblick auf dieses Merkmal der Endgültigkeit. Über die weniger rigorose Variante ist bereits gesprochen worden. Sie entspricht eher einer Verzweigung, und wir bleiben an der Weggabelung zurück. Behagen stellt sich nicht ein. Eher bleibt eine diffuse Konsternierung.

Die Variante, die die Zerreißprobe bietet ist entschlossener in verschiedener Hinsicht. Auch darüber ist schon gesprochen worden, Das Männchen reisst sich mitten entzwei. Ich sagte schon, dass ich die in diesem Zusammenhang erwähnte Wut für wo nicht unwahrscheinlich, dann jedenfalls nicht für zwingend halte als Begründung. Psychologisch ist sie eher unwahrscheinlich, mir ist sie gänzlich fremd. Betrogene Betrüger mögen sich vor Wut zerreißen. Das ist dann auch zu verstehen: Der andere Betrüger enttäuscht ja nicht nur den betrogenen Betrüger, sondern er beleidigt auch seine Intelligenz. Er ist der Unterlegene nicht nur im Hinblick auf das ihm Entgangene, sondern mehr noch als dies im Hinblick auf seine Fehlkalkulation in Bezug auf die Pläne und die Fähigkeiten dessen, der ihn erfolgreich hereinlegt, während sein ebensolcher, aber entgegen gesetzter Plan dabei scheitert. So gesehen unterläge der Erzählung dann eine – allerdings nicht direkt ausgesprochene – Konfrontation zweier Betrüger, die sich gegenseitig etwas vormachen, wobei schließlich der gerissenere gewinnt. Das ist ein Anlass zu einer Wut von der Art wie die Erzählung sie beschreibt. Aber sie spricht eben dies nicht wirklich aus. Man kann sich fragen, welchen Sinn dieser Verzicht auf Klarheit denn haben kann.

Wenigstens ein solcher Grund dürfte sein, dass sie den Charakter eines Märchens, das Typische an ihm verlöre, einmal abgesehen davon, dass Kinder – denen man sie doch gewöhnlich erzählt, so dass nahezu alle Erwachsenen in allen Kulturen wenigstens ein paar in Erinnerung haben, wie man leicht (an sich) selbst nachprüfen kann – ein natürliches Gefühl für Gerechtigkeit haben, das ja auch manchen Erwachsenen nicht von den Rechtsverhältnissen ganz ausgetrieben werden kann, so dass sie sogar Gesetze oder Gerichtsurteile für moralisch und ethisch unakzeptierbar zu halten imstande sind, oder auch bestimmte menschliche Umgangsformen oder Handlungen als asozial oder eigentlich, unter dem Gesichtspunkt kultureller Maßstäbe betrachtet für kriminell einstufen, selbst wenn der, der solche Formen und Handlungen wählt und anwendet, das Gesetz auf seiner Seite hat, und angesichts der so genannten wachsenden Veränderungsgeschwindigkeiten, mit der vor allem Gesetzgeber die gesetzlichen Grundlagen des Lebens manipulieren kann man es im Laufe der Dauer eines einzigen Lebens u. U. erleben, dass zuvor Undenkbares, das das Gesetz tabuisierte, auf einmal zu einer kulturell möglichen Handlung bzw. zu einer legitimen Verhaltensweise wird, die jedermann nicht nur wählen oder begehen darf, sondern die auch Jedermann hinzunehmen hat, ganz gleich wie sie ihn oder sie betrifft. Was immer nun auch dieser Art alles jeweils zeitbedingt möglich oder ausgeschlossen ist, man kann sich an der mildesten Form der Verletzung, die kulturell denkbar ist, jederzeit selbst klarmachen, was eine als unangemessen und als ungerecht und sozial unakzeptierbare Handlung ist – nicht nur, was als solche ‚gilt’ – indem man sich vorstellt, dass ein Versprechen, das einem gegeben wurde, gebrochen wird.

Die Begleitumstände sind natürlich auch erheblich, z. B. ob man davon überhaupt erfährt und wie, also ob man sich etwa durch eine andere Person als die, die das Versprechen bricht informiert sieht oder ob man es dadurch erfährt, dass man es eben erfährt, ohne alle Information. Man wird es eben schon merken. Was man da in jedem Fall merkt, ist das, worum es geht, damit klarer werden kann, was es mit der Wut des Männchens auf sich hat. Nun, jeder weiß das irgendwie aus eigener Erfahrung, was eine Enttäuschung ist, ganz unabhängig davon, auf welchen konkreten Anlass sie zurückgeht. Die Neigung, sich damit auseinanderzusetzen, also den, der den Anlass dazu bot, wenn sie denn einen Anlass hat, der auf eine andere Person zurückgeht, ist ebenso leicht zu erkennen wie Trauer, die Neigung in Schweigen zu versinken und sich von der betreffenden Person zurückzuziehen. Das alles ist längst Material für die endlose Ausschlachtung von Gefühlen für Fernsehserien für vom sozialen Leben abgeschnittene Menschen (die praktisch in bequemen Gefängnissen sitzen, wenn man mit der Vorstellung von einem ‚Gefängnis’ den Aspekt des sozialen Lebens versteht, der die Isolierung davon durchsetzt und betrifft), denen eine Industrie hier Ersatz anbietet, die riesige Profite macht, und an dem sich die leer laufenden sozialen Eigenschaften von Menschen, also das, was man unter dem Titel der ‚Seele’ auch wissenschaftlich vermarktet, betätigen können. Die entsprechenden Phantasien werden ja einfach durch Licht/Schatten/Farben und Tonspiele künstlich ausgelöst, so dass die isolierten Menschen dann mittels sie genau genommen nichts angehenden fiktiven Vorgängen ohne die geringste Materialität auf einem Umweg sich selbst erleben dürfen, der sie von diesem Selbst und seiner Wirklichkeit nach Innen so isoliert, wie sie es sozial schon sind.

Das gilt selbst für den Fall, dass z. B. von einer Naturkatastrophe auf der anderen Seite des Erdballs, der u. U. viele Menschen in wirkliche Mitleidenschaft zieht, für die dann geworben wird, wenn man meint, Geldmittel zu benötigen um ihnen zu helfen (man darf nie nachfragen, was aus dem Geld geworden ist und wer es bekommen hat). Da wird dann an menschliche Eigenschaften appelliert, die den sozialen Nahraum betreffen, und in diesem sozialen Nahraums sind u. U. dieselben Menschen, und in sehr großen Gruppen täglich auf eine diffuse Art und Weise durch die über sie verhängten Mächte in einer Art bedroht, die in diesem Kontext dann gar keine Rolle spielen und auch nicht etwa als die vordringlich die Menschen wirklich betreffende und beachtenswerte, Mitleid erregende wirkliche Bedrohung in den Vordergrund treten soll. Und die Art der Beeinflussung trägt noch dazu bei, dass diese vordringliche und ganz und gar unmittelbare, wenn auch diffuse, und nur deshalb scheinbar unbestimmte Bedrohung der Würde und Existenz von Menschen tatsächlich nicht bewusst bzw. ‚vergessen’ wird, aus dem Blick gerät, während es gerade dieses unterschwellige Präsenz einer wirklichen Drohung, eines Verhängnisses über den Menschen ist, die dann das seelische Potential ausmacht, das auf eine künstlich erzeugte fiktive Lage wirklicher oder vorgespiegelter Anderer, jedenfalls auf ein Anderswo ganz Woanders umgelenkt zum Anlass für Selbsterhaltungsstrategien wird, die sich in die Form der organisierten ‚Hilfe’ kleiden und dann auch ihre Expertengruppen entwickeln, die um die Welt reisen, um ’Menschen in Not’ auf eine für ihr eigenes Fortkommen und Prestige sowie Einkommen höchst lukrative Art und Weise beizustehen. Hier wird die vollkommene Umkehrung dessen, was Mitleid und Anteilnahme der Sache nach sind, ihre vollständige Perversion eklatant. Das Perverseste daran ist die Professionalisierung, auf die diese paramilitärischen Organisationsformen so stolz sind. Man kann das leicht an der in die Form der Terminologie der ‚Leistung’ gebrachten Eigenpropaganda erkennen. Aber genug davon.

Worum es geht, ist nicht, wie eine Enttäuschung ‚erlebt wird’, sondern was sie ist. Und das ist daran zu erkennen, was sie bewirkt, wenn sie zunächst eine auf einen Anderen gerichtete Handlung ist. Man kann auch enttäuscht sein, wenn der Urlaubsort der Erwartung nicht entspricht, oder wenn man den Jackpot im Lotto nicht gewonnen, aber in der Erwartung des Gewinns Lotto gespielt hat. Wenigstens die zuletzt beschriebene Art hat aber erkennbar nicht zu tun mit einer durch eine sozial wirksame Handlung von der Art eines – dann gebrochenen – Versprechens, das sich genau genommen aus zwei Handlungen zusammensetzt, von denen die erste darin besteht, ein Versprechen zu geben, und die zweite, die die erste voraussetzt, es dann nicht einzuhalten, und vielleicht den, dem man etwas versprochen hatte, gar nicht oder nicht selbst davon in Kenntnis zu setzen, dass man es nicht halten würde usw. Es mag so etwas geben wie ein Aufbegehren, und wenn man sich vorstellt wie das aussieht, dann hat es die Form eines Protests, der etwa beginnen könnte mit einem: „Aber Du hast mir doch versprochen….“, und man kann sich dann vorstellen, wie sich das weiter entwickelt. Deshalb ist ja die Furcht vor dem Protest des Enttäuschten – die dabei ja durchaus verstanden und vorweggenommen werden kann - oft auch der Anlass dafür dass die Handlung sich sogleich erweitert zur Vermeidung der Kommunikation mit dem, der das Versprechen erhalten hat und sich darauf verlässt, und damit schon übergeht in etwas anderes, für dessen Bezeichnung zunächst der Terminus ‚Feigheit’ sich anzubieten scheint, aber die Dinge liegen noch komplizierter, denn es ist auch Scham, das Bewusstsein, ein Unrecht zu tun im Spiel, und natürlich die Furcht, nicht nur die Klagen, also die Enttäuschung des Enttäuschten, sondern auch die Besonderheit der jeweiligen Reaktion zur Kenntnis und entgegennehmen zu müssen, ohne ein anderes Mittel zu haben als, dass man es eben anders will als versprochen und ‚sich das noch einmal überlegt hat’, dass ‚etwas dazwischen gekommen ist’ usw.

Angesichts des Umstandes, dass man selbst stets weiß, was der Bruch eines Versprechens bedeutet, sind die Verteidigungsmittel ja auch schwach, die man hat, außer dass man eben ‚es sich anders überlegt hat’, und man kann dann am liebsten seine Sekretärin beauftragen, die gegenwärtige ‚Überlastung’ und dass so Vieles zusammenkommt gerade und man auch nicht ganz gesund ist oder krank war oder beinahe krank – man musste sogar Fieber messen und die Temperatur war erhöht, etwas, aber immerhin… - und man kann das sogar als Kind schon ganz früh einüben mit Hilfe einer verständnisvollen Mutter, die die Rolle der Vorzimmerdame übernimmt und ihren Anruf und die Übernahme der Aufgabe dann damit begründet, dass die Person, die das Versprechen gegeben hat, ‚keine Zeit hat’! Was der/die, der/die das hört und entgegennimmt ist eine Enttäuschung. Man kann sich nun beliebige Steigerungen des Maßes denken, das den Inhalt einer Enttäuschung ausmacht. In jedem Fall ist die Absage eines ‚Termins’ etwas anderes als die Verweigerung der Erstattung des Lohns, den das Männchen erwartet.

Betrachten wir das Männchen zunächst noch einmal genauer. Die Erzählung zeichnet es von Anfang an als ‚Männchen’, und die Erläuterungen charakterisieren es darüber hinaus als dünn, die dazu angebotenen Illustrationen kleiden es in groteske Fetzen, mit einer Zipfelmütze, kleben ihm einen dünnen, zerzausten und ‚schütteren’ Bart ans Kinn, die Kleider, oft nach Art von Kinderschlafanzügen bzw. Babykleidung mit gestrickten Füßen an einem den ganzen Körper bedeckenden ‚overall’, schlottern im zu groß um die dürren Glieder, der Bote beobachtet ihn – so stellt sich die Zeichnerin das dann auch vor und dem Zuschauer – wie er mit zuckenden und grotesken Sprüngen um ein Feuer springt und dabei schreit: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich…usw., kurz, es ist eine von Anfang an ganz und gar lächerliche Figur, ein Hanswurst, über den man sich ‚kaputtlachen’ möchte und vor allem – darf. Das liegt sowohl in der klaren Tendenz der sprachlichen Darstellung als auch in der Tendenz der Illustrationen, die ihr getreu und ohne Nachdenken folgen. Es ist auf jeden Fall eine Person, der niemand, der bei Verstand ist, ein Kind anvertrauen würde. Dabei bleibt doch eigenartig, dass das Männlein eigentlich physisch einen alten Mann, einen Greis und seelisch ein eher hyperaktives Kind zu sein scheint, wenn man die Beobachtung des Boten als paradigmatisch auffassen will. Denkt man doch nach, dass muss auffallen, das das alles gar nicht aufgeht, denn es steht in einem derart krassen Gegensatz zu der faktischen Schlüsselstellung des Männchens für den Gang der ganzen Erzählung, die deshalb ja auch den Namen dieser Hauptfigur hat und nicht den der Müllerstochter, dass man sich nach der Funktion schon fragen muss, die diese Art der Darstellung des Männchens erzwingt ganz gegen seine wirkliche Bedeutung für diese merkwürdige Familie in diesem Gefüge einer hierarchisierten Gesellschaft mit derart entschlossenen sozialen Aufsteigern bzw. herrschenden ‚ranghöheren’ Positionen, die zu erreichen das lohnende Ziel sind, für das die Mittel jeder Schurkerei gerechtfertigt zu sein scheinen.

Die Überlegung, wo sich so etwas sonst finden lässt, fördert das Bauerntheater zutage, seine Schwänke und Ränke, die List, die sogar vor dem Teufel nicht Halt macht, und ihn einspannt um den Preis des Versprechens der Gegenleistung der Seele, das dann natürlich unter kräftiger Hilfe christlicher Moral gebrochen wird, weil man dem Teufel (dem der Fremde entspricht, und dann der Fremdgläubige) kein Versprechen halten muss, dann die Bilder von Breughel, die Bauernfeste, die grotesken, oft verwachsenen, hässlichen und gnomartigen Gestalten, und dann natürlich den dummen Hanswurst, dem seine ‚Dummheit’, also dass er z. B. glaubt, dass Versprechen gehalten werden, dass man sich darauf verlassen kann, dass der Welt sozialer, in diesem Fall dann also christlicher Überzeugungen oder Bekenntnisse auch die Wirklichkeit einer christlichen (also moralisch ethisch intakten) Welt entspricht, der alles ‚für bare Münze’ nimmt und den man beliebig verprügeln, verspotten und verlachen oder natürlich auch betrügen kann, und wenn die Erinnerung nicht täuscht, dann fand diese Behandlung des Dummen August denn auch nie nur auf der Bühne statt, sondern unter lautstarker seelischer Anteilnahme des anwesenden örtlichen Publikums der ländlichen Bevölkerung. Betrachtet man diesen Kontext, dann erscheint in der ‚Lächerlichkeit’ des dürren Männchens (die Menschen waren ja tatsächlich oft von ganz realer Hungersnot bedroht, und es mochte schon sein, dass man, wer ein bestimmtes Alter faktisch erreichte, indem er nicht an einer Krankheit oder am Hunger starb, die Geschichte dieses Überlebenserfolgs auch ein wenig ansehen konnte, aber das nur nebenbei) eigentlich die unterste soziale Gruppe der Bauern, z. T. auch der Handwerker (Man denke daran, dass Schneider oft als ‚spindeldürr’ charakterisiert wurden, weil man oft körperlich schwach wirkende Kinder zu Schneidern machte, und eben nicht zu Schmieden. Heute würde man diese Kinder vielleicht trainieren und besser ernähren.

Das Tapfere Schneiderlein wird ja durchaus ähnlich wie Rumpelstilzchen als eine solche dünne, zugleich greisenhafte und kindliche sowie physisch schwache, aber ‚zähe’ und quicklebendige Gestalt immer wieder dargestellt, auch um die Aufmerksamkeit auf den Umstand zu lenken, dass er die überlegene Körperkraft der Riesen, gegen die er im Ernst keine Chance hätte, wollte er ihr mit ihren eigenen Mitteln begegnen, mit intellektuellen Mitteln, also – unter Bauern und Handwerkern – mit Bauernschlauheit und List überwindet. Hier ist die physische Schwäche gerade das Merkmal, das die besonderen Qualitäten des Protagonisten herausstellt und verdeutlicht, also gänzlich positiv. Desto bemerkenswerter ist die ganz entgegen gesetzte ‚Nutzung’ dieses Merkmals zur Diskriminierung des designierten Verlierers, der gleichwohl der ‚Held’ der Geschichte bleibt. Dieses Selbstbild der Bauern und Handwerker entspricht aber auch nicht ihrer wirklichen sozialen Bedeutung. Es ist in derselben Weise verzerrt, und zwar in der sozialen Realität wie die Gestalt des Männchens, denn die Bauern und die Handwerker sind die Grundlage des Lebens der ganzen Gesellschaft, die einen, indem sie die Nahrungsmittel erarbeiten, die anderen als Techniker, und beides zusammen macht die Basis aus für die Möglichkeit, einen Überschuss über ihren Eigenbedarf zu erwirtschaften, der das Leben der ihnen sozial und kulturell übergeordneten Gruppen erst ermöglicht und garantiert, mit der Folge, dass die faktische Bedeutung, die sie haben, im Horizont des kulturellen Lebens umgekehrt wird zu ihren Ungunsten derart, dass sie sich im Zerrspiegel einer derart pervertierten Kultur als minderwertige und niederrangige Wesen zu erkennen gezwungen sind, die unablässig erpresset und betrogen werden, auf ihre Kosten, während und weil ihnen das von ihnen erzeugte Produkt weggenommen wird, sie es mit Gewalt oder mit List.

Das ist nun ein eigenartiges Ergebnis und auch überraschend. Ich wäre durch Nachdenken nie darauf gekommen. In der Erzählung erscheinen die sozialen Verhältnisse wie in einem Zerrspiegel mit einem höchst eigenartigen Krümmungsindex. Das Männchen ist nicht zufällig so gezeichnet wie es erscheint und es ist nicht zufällig der ‚Held’ des Märchens.

Ebenso wenig ist der eigenartige, wie unentschlossen wirkende, ambivalente Ausgang der Erzählung kaum mehr auf die Unentschlossenheit oder die Einfallslosigkeit einer Erzählerin zurückzuführen. Die ganze Erzählung ist vielmehr ein komplizierter Kompromiss zwischen ganz entgegen gesetzten Strebungen und ‚Wirklichkeitsaspekten’. Einerseits muss das Faktum einer die Wirklichkeit ausmachenden, sie strukturierenden Gewalt anerkannt werden, die all die Formen menschlicher Interaktion hervorbringt, die an dem Müller, seiner Tochter und an dem Königssohn beobachtet haben. Der Arroganz des Reichtums, der Raffgier, und der mit ihm unvermeidlich verbundenen Gier entspricht die Lüge des Müllers und die hinterhältige List der Müllerstochter und all dies färbt die sozialen Verhältnisse ‚in der Wolle’, also bis in die letzten Fasern, und imprägniert sie. Zwar wären die Strukturen auch losgelöst von der Kontamination mit dem Gift der Gewalt, die sich jeder denkbaren Form des Austauschs bemächtigt hat, und eben dies beschreibt ja die kulturelle Selbstreflexion auf dem Niveau des Christentums auf jeden Fall. Das bleibt ja sein historisches Verdienst: Es repräsentiert nicht die Wirklichkeit einer menschlichen Kultur und Gesellschaft, sondern die institutionalisierte Bewahrung der Erinnerung an ihre Möglichkeit.

Die Anfälligkeit des Königssohns für das Versprechens der Alchimisten, sie könnten Gold machen, entspricht historischer Wahrheit. Immer wieder haben sich Fürsten dazu überreden lassen, Alchimisten zu finanzieren, und erst Liebig hatte den durchschlagenden Erfolg, er aus dem doch nicht gänzlich als Wahn oder Scharlatanerie abzufertigenden Versprechen dann die Realität des Kunstdüngers werden ließ, der alle Alchimisten der Geschichte nachträglich rechtfertigt, so gut wie die Teilchenphysik bestätigt, dass sich aus ‚Dreck’ – z. B. Sand, englisch: silicon - tatsächlich Gold machen lässt, nämlich durch Umwandlung der Atomstruktur, gewöhnlich die Hinzufügung oder Wegnahme von ein paar Protonen und Neutronen nebst den dann ergänzend fällig werdenden Elektronen, abgesehen davon, was die Computerindustrie in Siliconvalley aus Sand gemacht hat nebst der darauf aufbauenden Produktpalette und Industrie.

Die Kehrseite der Ungeduld ist allerdings die Drohung, die als Verhängnis über dem Versagen liegt: Man wird die Forschungsgelder nicht weiter bewilligen, es wird Massenentlassungen geben usw. Das sind jedenfalls die modernen Äquivalente der Sanktionen, die der Königssohn, noch etwas unbeholfen und erkennbar weniger durchorganisiert, der Müllerstochter androht. Not macht erfinderisch, das gilt nicht nur und erst angesichts der Ausgangslage der Armut, sondern dann für jeden weiteren Schritt und lässt jede Möglichkeit des Handelns legitim erscheinen außer demjenigen Betrug, der heute als ‚wissenschaftlicher Betrug’, also als Fälschung wissenschaftlicher Ergebnisse bekannt ist, und darunter sind wiederum solche der Natur‑ und Ingenieurswissenschaften ausschließlich gemeint, während die so genannten Sozial‑ und Geisteswissenschaften sich durchaus in der Richtung der Perfektionierung der Lüge des Müllern und der Listen der Müllerstochter weiterentwickelt und perfektioniert haben, vor allem auch deshalb, weil sie von Müllern und Müllerstöchtern betrieben werden unter dem Verhängnis der Macht, das ihren ‚Output’ streng determiniert.

In moderner Terminologie könnte man sagen: Wenn die Unterscheidung von ‚Arbeit’ und ‚Interaktion’ von Bedeutung ist für die Differenzierung grundsätzlicher Einstellungen und Handlungstypen des organisierten Menschen gegenüber Natur und Gesellschaft, etwas vereinfacht gesprochen, dann ist im Bereich der ‚Arbeit’ nach wie vor die Einlösung der zunächst als Lüge (des Müllers) ins Blaue hinein vorgetragenen Versprechens, Gold machen zu können anzusehen, eine Aufgabe, die die Müllerstochter einlösen und belegen können muss, damit sie Königin wird, also in die oberen Ränge des sozialen Gefüges aufsteigen kann, wobei andererseits im Bereich der ‚Interaktion’ bzw. ‚Kommunikation’ jedes Mittel recht ist, um die intermediären Stationen zu diesem Ziel zu erreichen oder eine der intermediären Positionen sei es auch vorläufig besetzen zu können.

Wir nähern uns jetzt der Ahnung einer Einsicht in die ungeheure Komplexität der in diesem kaum als Kurzgeschichte angemessen charakterisierten Märchen. Seine implizite Bedeutungsfülle steht in keinem Verhältnis zur quantitativen Länge der Erzählung und man wird das Genie, das diese Kompressionsmethode entwickelt hat bewundern dürfen, zugleich auch als Beispiel dessen, was Literatur eigentlich ist.

Zunächst ist aber das Männchen erneut vor dem jetzt konturierteren Hintergrund ins Auge zu fassen. Die unteren sozialen Schichten sind gezwungen sich im ihnen vorgehaltenen Zerrspiegel der Entwertung durch die ihnen im Rang übergeordneten Schichten kennen, wissen aber so gut wie diese um ihre produktive Potenz, die die tatsächliche Grundlage der Existenz der Gesellschaft und des Lebens ist und bleibt: „Ohne Fleiß kein Reis“, wobei hier an ‚Reiser’ zu denken ist, so dass der Sinn resultiert: Ohne die technisch amplifizierte Arbeit des Bauern gibt es nicht einmal ein einziges Reis zu ernten, gibt es keine Nahrungsgrundlage für das Leben der Menschen, denn auch das Futter für die Tiere, die zur Ernährung dienen oder die mitarbeiten, Reiter tragen usw., wird ja auf diese Weise, durch Arbeit erzeugt, die an die Kenntnis der Jahreszeiten gebunden ist, in Sequenzen geordnet, von der jede einzelne Stufe die anderen voraussetzt usw. Ähnliches gilt für die technischen Abläufe, etwa der Metallgewinnung.

Sie ist eine komplexe Folge von Arbeitsgängen, die vom Rohstoff über die verschiedenen Phasen und Stufen seiner Aufarbeitung zum fertigen Produkt führt, unter anderem auch den Waffen, mit denen die höher gestellten sozialen Ränge (z. B. der Krieger bzw. Ritter) sich so positionieren können gegenüber den anderen sozial unverzichtbaren Gruppen. Außerdem sind die Produkte der Techniker abhängig von einem erzeugten Nahrungsüberschuss durch die Bauern, den sie wiederum ermöglichen durch ihre Technologien. Die Existenz der Population als Ensemble biologischer Lebewesen hängt von dieser Potenz der unteren sozialen Gruppen ab, die durch das Männlein repräsentiert werden. Insofern ist er Teil der Gruppen, zu denen auch der Müller und die Müllerstochter gehören. Und es ist bemerkenswert, dass Müller und Müllerstochter hier der ersten ‚abgeleiteten’ sozialen Schicht der Techniker und Handwerker zugehören, die ihrerseits bereits eher als Anwender einer Technologie im Umkreis der primären Produktion angesiedelt sind. Das macht verständlich, warum sich einerseits ein Kontakt unter Gleichen ergibt, indem das Männlein mit seinem Hilfeangebot auftreten kann, und das sich andererseits die Müllerstochter auf die Inanspruchnahme einer solchen ihr nicht verfügbaren Unterstützung angewiesen sieht. Das alles hat eine überraschend zwingende Logik, die man in der zunächst etwas wirr und sogar inkonsequent wirkenden Erzählung auf den ersten Blick wohl kaum vermutet. Jedenfalls ist mir keine Erläuterung bekannt, die das nahelegen würde.

Das Männchen unterscheidet sich aber in einer besonderen Hinsicht von der typischen Ausprägung des Individuums im Umkreis des sozialen Lebens, in dem es agiert: Es ist, wenn man die Verzerrungen einmal abzieht, die der Zerrspiegel der Diskriminierung durch die als Kultur auftretende Ideologie sowie die Erzähltechnik, die diese Verzerrung übernimmt in einem Akt der Selbstverspottung der Adressaten der Erzählung, in der sich wie in einem Bauernschwank der Verspottete wieder erkennt sowie seine soziale Lage und Wahrheit seiner Existenz, so ergibt sich ein ganz anderes Bild, das sich zu einer konsistenten Gestalt zusammenfügt. Das Männlein ist ohne Vorbehalt und aus eigenem Antrieb hilfsbereit und springt der Müllerstochter ohne größeren Anlass dazu bei mit Möglichkeiten, die jenseits der ihren liegen. Niemand könnte das erzwingen. Vielleicht ist hier auch die Schönheit im Spiel. Um das Bild zu entzerren, wird man sich nun also auch entschließen müssen, hier statt eines dürren Männchens einen erwachsenen Mann, der sich seiner Potenz bewusst ist, zu erkennen und anzuerkennen, und damit das Zerrbild zugunsten der mit der produktiven Potenz gleichzusetzenden männlichen Existenz angemessen zu erschließen und der Wahrnehmung zugänglich zu machen, die den Mann der eigenen, kulturell als ‚inferior’ qualifizierten sozialen Schicht angemessen, d. h. nicht unter dem Vorzeichen des Vorurteils wahrzunehmen, der ihn von vornherein gegenüber den sozial höher rangierenden Gruppen und im Licht von deren ‚Werten’ als deklassiert erscheinen lässt. Wir wissen allerdings schon vor dem Erscheinen dieses Mannes in der Kammer des Mädchens, was ihre Sicht der Dinge ist.

Sie ist hoffnungslos kontaminiert mit den Vorurteilen der ranghöheren Schichten und entschlossen in diese aufzusteigen, und wir erfahren, dass sie bedenkenlos bereit ist, dafür auch ein Kind zu opfern. Das wäre der eine Aspekt des Verlangens des Männchens. Der andere ist ganz entgegen gesetzt. Aus der Sicht der bereits wie beschrieben voreingestellten Müllerstochter ist das Verlangen des Mannes, der in ihrer nächtlichen Kammer auftaucht um sie in ihrer Verzweiflung zu trösten und ihr zu helfen ihre Ziele zu erreichen, ein Kinderräuber, der Unmögliches von ihr – als Mutter zumal – verlangt und sie ‚erpresst’, ‚denn sie kann ja nicht anders’. Wir haben aber zunächst die nunmehr anders, unter der Maske des diskriminierenden Blicks des Anderen herausgetretenen potenten Mannes zunächst erneut ins Auge zu fassen, um hier größere Klarheit zu gewinnen. Dieser Mann lebt in Übereinstimmung mit seiner Potenz und weiß, was er will. Er weiß, was der Müllerstochter fehlt. Er ist bereit ihr zu helfen. Er kann, was sie nicht kann und weiß es, und er kann machen, was die ranghöheren Schichten bestenfalls auf legalisiertem Wege aneignen und demgemäß nur besitzen bzw. wieder in die Zirkulation einbringen können.

Er verkörpert die Potenz der primären Produktivität, ja sogar eine schöpferische Potenz. Und er vertraut der Müllerstochter. Allerdings besteht auch er auf einem Minimum an geregeltem Austausch, er besteht auf Reziprozität. Also muss er für seine Unterstützung der Müllerstochter auch etwas bekommen. Er gibt sich mit bescheidenen, eher symbolischen Gegengaben zufrieden. Was sollte sie ihm auch sonst geben, ihm, der doch selbst Gold zu machen imstande ist und damit über die Quellen des Symbols des Reichtums selbst schon verfügt, über das allgemeine Äquivalent, das den gesellschaftlichen Reichtum verkörpert, wenn auch nicht mit diesem gleichzusetzen ist? Es ist von vornherein ganz und gar klar, worauf der Austausch unvermeidlich hinauslaufen muss. Was dieser Mann bei aller Potenz nicht hat und nicht selbst herstellen kann, ist das Kind. Und es spricht für ihn, dass es ihm offensichtlich zu fehlen scheint, so dass er es sich wünscht. Das wird aber ganz klar angesichts des Umstands, dass er die vorherigen Angebote der Müllerstochter ohne Widerrede annimmt, aber auch offensichtlich ohne großes Interesse. Das liegt ganz einfach daran, dass sie ihm aus leicht einsehbaren Gründen nichts bedeuten. Aber er nimmt sie widerspruchslos an, wie man von einem Kind, das man liebt, dessen Produktionen, die es z. B. zum Geburtstag anfertigt, entgegennimmt. Man schätzt sie, weil es sie gemacht hat. Aber sie stellen weder unbedingt eine materielle Bereicherung dar noch technisch bedeutsame Gebilde, sie haben nicht die Bedeutung oder die Funktionen, die die materiellen oder symbolischen Formen des Reichtums einer Gesellschaft haben: technologische Artefakte, Geld oder Nahrung.

Es gäbe zu dieser Vermutung, dass der Mann das Kind will und das auch zu verstehen gibt genügend Grund, wenn man sie zudem mit der Attraktivität der jungen, geschlechtsreifen Frau identifiziert, die noch nicht schwanger ist und unverheiratet. Man kann das ‚Verhalten’ und Beistandsangebot des Mannes also auch so auffassen, dass er um sie wirbt. Der Austausch hat hier noch einen bemerkenswerten Nebenaspekt. Man kann sich nämlich fragen, warum eigentlich dreimal diese Tauschsituation beschrieben wird. Das hängt mit dem Unterschied der Austauschobjekte zusammen. „Der Mann will immer dasselbe“. Das ist ja allgemein bekannt und Gegenstand von Unmut oder Kalkulationen. Er will es aber auf verschiedene Weise. Er trägt dreimal seine Werbung um das Mädchen vor, und man kann die Unterschiede des jeweiligen Austausches auch so verstehen, dass er in verschiedenen Lebensstadien des Mädchens zunächst und dann der jungen, geschlechtsreifen Frau um sie wirbt. Das macht nicht nur die Wiederholung, sondern auch den Unterschied der ausgetauschten (bzw. versprochenen) Objekte aus. Zweimal nimmt er für seine Hilfe eine symbolische Gegengabe entgegen. Man kann diese als Verlöbnisgaben verstehen, denn sie sind zugleich Symbole des Einverständnisses mit dem Auftauchen des Mannes in der nächtlichen Kammer des Mädchens und dann der jungen Frau. In diesem Kontext verschiebt sich die Imago des Väterlichen, im Sinne der Forderungen des Realitätsprinzips (Einlösung der Behauptung, Gold machen zu können) eher auf den ‚Königssohn’, und der nächtliche männliche Besucher erscheint als der werbende Mann.

Man muss aber im Auge behalten, dass sich Rumpelstilzchen, wie immer verzerrt seine Gestalt durch die Erzählung ist, auf jeden Fall etwas ganz anderes will als der Königssohn. Es lehnt ja jede statt des Kindes angebotene Kompensation ab, indem es klarstellt: „Nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt“. Und derart zeigt sich eine ganz andere Bedeutung der ‚modernen’ Kritik am Mann, der angeblich immer nur dasselbe will, denn der Königssohn will das Gold, das die Müllerstochter angeblich machen kann, "Denn", dachte er, "eine reichere Frau kannst du auf der Welt nicht haben," und das Märchen benennt diese Überlegung ausdrücklich als das hinter dem Heiratsantrag stehende Motiv, dessen blanke Kehrseite die Bedrohung der Braut in spe mit dem Tod ist, wenn die das Gold nicht liefert. Es kann keinen größeren Gegensatz zwischen den Männern geben, wenn man einmal davon absieht, dass Rumpelstilzchen ja selbst Gold machen kann, während der Königssohn zu einer brutalen Erpressung greift um zu erhalten, was er sich selbst nicht anders beschaffen kann. Die Differenz betrifft also sowohl die Schätzung dessen, was ‚Reichtum’ ist, als auch die Fähigkeit zu Produzieren, die schöpferische Potenz.

Die Verzerrung seiner Gestalt durch die Erzählung, deren Ursprung und Sinn ja schon erläutert wurde, hat diese Vertauschung nur überlagert und entspricht der Wirkung einer Zensur, einem Kompromiss zwischen bestimmten gesellschaftlichen Fakten und dagegen gerichteten, mit ihnen nicht problemlos zu vereinbarenden Wünschen. Einerseits hat sie mehr oder weniger heimliche und mehr oder weniger unschuldig (man hat es ihr eben beigebracht) gehegte Ambitionen in Richtung auf einen sozialen Aufstieg, der auf eine eigenartige Weise mit ihrem ‚Realitätsprinzip’ amalgamiert oder legiert ist, die es eigentlich in seinem Sinn umkehrt, indem sie zugleich eine Erwartung in diesen Vorstellungskomplex investiert, der ihn in eine riskante, an der Grenze des Realisierbaren liegenden Spekulation macht, die aus ihr eine Spielerin macht, die alles auf eine Karte einer eigentlich uneinlösbaren Realitätsvorstellung setzt: Sie kann kein Gold machen und als sie sich auf das Spiel einlässt ist nicht absehbar, dass sie auch nur die geringsten Aussichten darauf hat, das sie tun kann, was sie wenigstens in der Form des Vorzeigens des verlangten und versprochenen Produkts: Gold vorweisen muss.

Denn von ihr wird streng genommen nicht verlangt, dass sie vor‑macht, dass sie Gold machen kann, sondern dass sie das Gold vorweist, anders gesagt, nicht die Technik darzustellen wird von ihr verlangt, sondern das in Besitz übergehende Produkt. An der Technologie der Herstellung von Gold ist ganz offensichtlich niemand interessiert. Und nur in dieser ‚Lücke’ liegt überhaupt ihre Chance, wie übrigens auch darin, dass sie nicht zu unbegrenzter Nachlieferung verpflichtet wird, sondern dass die Gier, oh Wunder, eine Grenze hat, was auch merkwürdig ist. Bekanntlich hat die Gier dem Begriff nach keinerlei Grenze und jede Sättigung ist vorübergehend. Man muss nur einen einzigen Blick auf die den gegenwärtigen Science‑Fiction‑Serien ganz unschuldig unterlegten energetischen Voraussetzungen werfen, um das zu erkennen.

Das alles sind also Folgen ihrer imaginierten Orientierung an ihrem sozialen Aufstiegswunsch, der sie im Übrigen auch derart blendet, dass sie offensichtlich gar nicht zu begreifen imstande ist, dass sie mit dem Mann, der sie nachts besucht mit ihrem Einverständnis – allerdings bittet sie ihn nicht darum zu erscheinen, aber das kann zur Eigenart des Werbungsverhaltens in der Epoche gehören, in der das Märchen entstand, wie übrigens auch die Praxis, bereits Kinder in einem bestimmten genealogischen Pool nach bestimmten Heiratsregeln einander zu ‚versprechen’, eine Praxis, die im übrigen auch nicht unbedingt mit den Vorstellungen von ‚Kindheit’ zu tun haben, die die puritanische bürgerliche Welt sich ausgedacht hat, und deshalb auch andere praktische Umgangsformen pflegte, was die kindliche oder pubertäre Sexualität betrifft, so wie man sich hier auch nicht unbedingt eine kindliche Latenz als verbindliche Zwischenphase zum Erwachsenenstatus und der biologischen Begleiterscheinungen zu denken hat. Das führt alles auf falsche Vorstellungen und macht die Erzählung ‚unverständlich’ bzw. unverstehbar. - Andererseits ist die Müllerstochter in einem nächtlichen und verheimlichten Einverständnis mit dem um sie werbenden Mann aus ihrer eigenen sozialen Lebenswelt.

Man kann sich auch hier eine Art von Kompression von biologischen Reifungsabläufen mit längerer Zeitdauer vorstellen, die in diese schematische Aneinanderreihung eines dreimaligen Austauschs von Symbolen des Einverständnisses eingefügt sind. Am Ende des somit längeren zeitlichen Vorgangs, der mit der Reifung wenigstens der Müllerstochter zu einer empfängnisfähigen Frau ausläuft und entwicklungslogisch entspricht dem eine Entwicklung der Beziehung zwischen dem Mann unbestimmten Alters (er macht ja keine zu erschließende Entwicklung durch im Verlauf seines mehrmaligen nächtlichen Erscheinens in der Kammer des Mädchens bzw. der jungen Frau, sondern ist immer schon im vollen Besitz seiner gleich bleibend in den Dienst der Wünsche oder der Not des Mädchens bzw. der jungen Frau gestellten Potenz) und einer jungen Frau, die dem Mann schließlich, zumal weil sie nichts anderes mehr hatte, das sie ihm hätte geben können, denn sie war, wie wir wissen, arm, das Kind, das er sich ganz unzweideutig wünscht auch versprechen kann, einfach deshalb, weil sie eine erwachsene Frau geworden ist.

Der Mann spricht diesen Wunsch aus und hat sonst gar keinen. Sie hätte ihm auch sonst gar nichts anzubieten und so passt alles zu dem hier in der Tat gegebenen wechselseitigen Heiratsversprechen, außer die Betrugsabsicht der jungen Frau, die insgeheim mit dem Plan schwanger geht, wie man so sagt, den ihr treu ergebenen Werber aus der eigenen sozialen Gruppe zugunsten ihrer sozialen Aufstiegsabsichten zu verraten. Bemerkenswert ist ja, dass die, wie gesagt nicht erkennt, dass ihr gar nichts fehlen würde, wenn sie ihr Versprechen einlösen würde. Das hat damit zu tun, dass ihr der gelungene soziale Aufstieg mehr als alles andere fehlt, und deshalb ist hier zu wiederholen, dass vor dem Hintergrund ihrer Absichten ihre Bereitschaft zu bewerten ist, ihr Kind aufzugeben, wenn sie nur ihre Pläne realisieren kann, auch um den Preis, dass sie ihr Versprechen einzulösen gezwungen sein wird. Denn niemand kann ja vorher wissen, wie das jeweils ausgehen wird. Auch hier wird wieder deutlich, wie gewissenlos die Müllerstochter alles aufs Spiel setzt.

Der seelische Abgrund, der sich in dieser Haltung ausdrückt, ist erschreckend und hat etwas ungeheuerlich Brutales. Dabei zeugt er durchaus von einer bestimmten Art von Freiheit, aber es die einer Prostituierten, allerdings mit dem Unterschied einer klugen Zielplanung, die den sozialen Absturz vermeiden muss, wenn sie umgesetzt werden können soll. Man muss aber auch hier bedenken, dass die bürgerliche Moral und ihre modernen sozialtechnologischen Abkömmlinge nicht die des Adels waren und auch nicht die der anderen Stände der Gesellschaft, in der das Märchen entstand. Erst im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert wird diese Moral zu einem Problem und zum Gegenstand von Romanen mit weiblichen Heldinnen.
Aber etwas davon wird hier greifbar, in der Amoralität der Protagonistin, Das macht auch die eigenartige Doppelstruktur der Erzählung aus, die sich dieser Grenze des Umschlags der Sozialmoral vielleicht nähert, und die ja bei genauem Hinsehen das ganz untypische Muster einer Geschichte mit zwei Protagonisten hat, einem weiblichen und einem männlichen, in Gestalt der Müllerstocher, die Königin wird, und in Gestalt des Mannes der vergeblich und unter Aufopferung einer vielleicht gebotenen Vorsicht allzu gutgläubig um sie wirbt.

Der Mann hat etwas von der Hauptfigur des Parsifal, der freilich in dieser Sozialwelt nur als Ritter vorgestellt werden kann: Der Held versagt, weil er die Frage nicht stellt, die er stellen müsste, damit der alte König erlöst wird und er die Tochter zur Frau nehmen kann. Ihm fehlt das Quentchen ‚aggressiver Neugier’, die die ‚Rücksichtslosigkeit’ und die Indiskretion möglich macht, die dazu disponiert, die entscheidende Frage zu stellen. Im bäuerlichen Milieu kann diese männlich ausgeprägte Gestalt natürlich nicht als Ritter auftreten, sondern nur unter dem Deckmantel der Realitätsverzerrung, die die ranghöheren Gruppen den rangniederen auferlegen. Also verbirgt sich die Tragödie des Parsifal hier in der grotesken Gestalt des Rumpelstilzchen und nur der unentschiedene Ausgang und der Titel des Märchens sind unter anderem ein Hinweis darauf, dass sich in dieser Merkwürdigkeit ein recht komplexes Muster verbirgt, dessen wirklicher Held ein reiner christlicher Tor ist.

Das kann deutlicher werden, wenn wir erneut die Beschreibung des Mannes, der, wie sich herauszustellen scheint, Rumpelstilzchen heisst, ins Auge fassen. Es ist schon gesagt worden, was die groteske Maske kaschieren muss unter dem Druck der der sozialen Schicht, in der die Erzählung situiert ist, von der ihr übergeordneten auferlegt ist. Zumal angesichts der christlichen Kulturwelt ergibt sich daraus die Schwierigkeit, die Figur überhaupt korrekt zu situieren. Denn die soziale Auflage besteht ja unter anderem in der Rechtfertigung dieses Zustands des sozialen Lebens durch ein kaum mit seiner Wirklichkeit in Einklang zu bringendes Ideengefüge, das sich ein Jenseits und eine massa damnata kooptieren muss um halbwegs zu bestehen. Die bedingungslose und auf fatale Weise fraglose Hilfsbereitschaft des potenten Helden, dem nichts fehlt als das Kind ist bereits erwähnt. Darauf ist der Übergang zu einer Betrachtung gestützt, die das ‚Männchen’ als Mann aus der sozialen Gruppe auffasst, der die Müllerstochter auch entstammt, wenn man Bauern und Handwerker einmal zusammenfasst.

Wenn man die Betrachtung weiterführt, kommt man auf den Bericht des Boten, der herausfinden soll, wie ‚das Männchen heißt’. Sein Bericht zeigt einen Mann – natürlich immer in der Maske der grotesken Verzerrung, die ihn charakterisiert im Verlauf der Erzählung – der um ein Feuer tanzt und singt, in einer Gegend, ‚wo sich Fuchs und Hase ´gute Nacht´ sagen’. Wo ist das nun? Wo sagen sich Fuchs und Hase ‚Gute Nacht’? Nun, jedenfalls nicht in dieser Welt. In dieser Welt stehen Fuchs und Hase in einem unveränderlichen Verhältnis von Jäger und Gejagtem, von Verfolger und Verfolgtem, von Beutemacher und Beute. Es ist ein mörderischer Kontext, in dem die Natur des einen und des anderen Lebewesens in einer festen Ordnung miteinander verknüpft sind. Das Verhältnis ist nicht ganz einseitig, weil es auch das von Auflauern und überlegener Schnelligkeit ist. Darüber hinaus ist es ein im genauen Sinn ökologisches Verhältnis.

Es ist bekannt, dass die Anzahl der Füchse, die eine Gegend bevölkern können, von der Anzahl der dort vorhandenen Hasen abhängig ist. Schließt man einmal andere Nahrungsquellen für den Fuchs und andere Nahrungskonkurrenten um ausschließlich die Hasen aus, die als eine Gegend bevölkernd vorgestellt werden, so dass das Verhältnis zwischen Fuchs und Hase pars pro toto stehen kann für das Verhältnis aller jagenden zu allen gejagten Tieren, dann gilt: Wo keine Hasen, da keine Füchse. Das bedeutet, dass der Fuchs keinen endgültigen Erfolg haben darf, wenn er überleben können soll, als Individuum wie als Art. Das weiß natürlich der Fuchs nicht, so wie erkennbar Individuen der so genannten menschlichen Gesellschaft erwartbar nicht wissen, von welchen ökologischen Größen ihr Überleben und das ihrer Art, des Homo sapiens abhängt. Man ist blauäugig, wenn man darauf hinweist, dass die Schule und die Medien schon dafür sorgen, dass es ihm nicht unbekannt bleibt in jedem einzelnen Fall. Es kann problemlos gezeigt werden, dass die erlernten Formeln keine wirkliche praktisch bedeutsame Kenntnis darstellen, und das hat einen ganz klaren empirischen Bezug, nämlich das Faktum, dass aufs Ganze gesehen exakt dieser absolute und endgültige Erfolg des Raubtiers Homo sapiens sich als dynamisches Ziel, als faktischer Zielpunkt der gesamten Entwicklungsdynamik herausstellt, der dieses System menschlicher Beziehungen zustrebt, in globalem Ausmaß.

Man kann also keinen Unterschied erkennen zwischen dem Selbstbewusstsein des Fuchses und dem des gewöhnlichen Gattungsexemplars des Homo sapiens. Mehr als dies zeigt das Gattungsverhalten bzw. seine Resultanten ein auf einen totalen Erfolg und seine Fatalitäten hinauslaufendes Muster. Das hat einige Konsequenzen, deren Realität man der Entwicklung überlassen kann, ebenso wie die Prognose über die von der Annäherung an diese vermutlich zu erwartende Entwicklung bewirkte Dynamik. Im Unterschied zum Fuchs hat der organisierte Homo sapiens jedenfalls die Chance, eine echte Möglichkeit, das ohne Bewusstsein aufgrund der Ausstattung der Art angestrebte absolute Ziel auch wirklich zu erreichen. Das wäre dann also die Welt, die nicht die des beobachteten Mannes ist, der um das Feuer tanzt und singt und sich freut auf das Kind, das ihm versprochen ist als Lohn für seine Mühe, seine Treue und seine Diskretion, die keine Fragen stellt, um niemanden in Verlegenheit zu bringen. Auf eigenartige Weise erscheint darin noch einmal das Bild des ‚guten Wilden’, der ahnungslos in die Machenschaften eines Gefüges gerät, das Konquistadoren und historisch unvorstellbare Massenmörder auf der Höhe der von ihm zur Verfügung gestellten Reichtümer und technologischen Möglichkeiten hervorbringen wird.

Er wohnt am Rande der Welt, wo sich Verfolger und Verfolgter, der Mörder und sein Opfer, der Jäger und der Gejagte ‚Gute Nacht’ wünschen können, weil sie, obwohl sie auf eine doch von Gott oder sonstwie als unveränderlich bestimmte Natur festgelegt zu sein scheinen, aber entsprechend einer Vision, die den Löwen und das Lamm friedlich beieinander wohnen lässt, schon in der ‚Bibel’, dennoch von dieser Natur erlöst worden sind, weil eben auch dies bei Gott möglich ist, und sei es am Rande der Welt, wo gewöhnlich keiner hinkommt. Er wohnt als Herr der Tiere in einer Welt, die keine Feindschaft, selbst unter den Tieren, kennt, und in der es darauf, ein Herr zu sein nicht ankommt, angesichts der natürlichen Potenz, über die er doch verfügt, und die hier dennoch gegenstandslos ist, weil niemand dort Gold benötigt. Denn der Mann ist dort ja allein mit sich selbst und den Tieren, in einer Naturumgebung. Die Beschreibung schließt also an an einen Text aus der Bibel, und zwar dem so genannten ‚Alten Testament’, und dort das Buch, das überschrieben ist: Der Prophet Jesaia. Dort ist etwas formuliert, was man eine Vision einer möglichen anderen Welt nennen kann, eine andere Welt als die von ‚Königen’, herrschsüchtigen Vergewaltigern, die sich anderen meinen überlegen fühlen zu müssen und sich auf ihre Kosten zu bereichern, um sich wohl fühlen zu können, eine Welt ohne Gier und Hinterlist und Betrügern, die an die Stelle der Welt treten kann, in der die damaligen Menschen lebten und noch heute leben. Und dazu, dass dies möglich ist, bedarf es zunächst der Fähigkeit sie sich zu denken, und das eben tat dieser Mensch. Warum dieser Hinweis hier so heimlich bleibt, ist eine andere Sache. Manche Dinge kann man unter bestimmten Umständen eben nicht so direkt sagen und zwar nicht zuletzt deshalb, damit nicht die Betrüger sie flugs auswendig lernen und damit hausieren gehen als sei es ihre eigene Leistung, wie die Müllerstochter, die damit eben zur Betrügerin wird. Denn das lehrt die Erzählung jedenfalls: Dass man sich vor Betrügern hüten muss.

Ich habe die Stelle ausführlich am Ende dieser Betrachtung eingefügt, damit Du sie nicht lange suchen musst. Du kannst dann ja selbst auch noch einmal nachblättern, um sie zu vergleichen mit einem Bibeltext. Hier findet sich auch der Ausdruck ‚Reis’ wieder, von dem ich gesprochen habe im Zusammenhang mit dem Sprichwort: „Ohne Fleiß kein Reis“. Die Bezeichnung des ‚Getreides’ Reis ist auf die intensiv grüne, zarte Pflanze bezogen, aus der er hervorgeht, und die nur im Wasser wächst und reift, also bei Trockenheit sehr leicht verdorrt, und eine intensive und sorgfältige Pflegetechnik mit Bewässerungssystemen benötigt, eine Ackerbautechnik also, von der her das aus dem Lateinischen stammende Wort Kultur (von cultura, etwa: Bestellung des Feldes, oder des Gartens) seinen Namen hat. 1) Du kannst das einmal in Deinem Wörterbuch nachsehen. Es lohnt sich. Die Sprache beginnt nicht schon mit dem bloßen Gebrauch zu leben (nach dem Muster der Bedeutungstheorie, die fälschlich meint: ‚Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch’), sondern mit dem Gebrauch im Bewusstsein ihrer geschichtlichen Tiefendimension (also unter Einschluss dessen in die aktuelle Bedeutung, was sich der Begriffsgeschichte, der Geschichte der Wortbedeutung über den aktuellen Gebrauch hinaus entnehmen lässt.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine ausschließlich an der Kontingenz eines zumal angesichts der im Bereich des von organisierten Großinteressen an der möglichst reibungslosen Steuerung von immer größeren Menschenmassen im Horizont einer globalisierten Kontrolle kaum ein größeres Interesse an der Bedeutungstheorie des bloßen aktuellen Gebrauchs denken lässt als es die gegenwärtige Politik hat. Im Ernst ist der Erfolg dieser ‚Bedeutungstheorie der Sprache’ (etwa: ‚The meaning of meaning’, eines jeder Produkte des Grauens, die als ‚Sprachwissenschaft das von ihnen in dieser Form und unter diesem Namen aktiv betriebene Ende des Menschen, als Homo sapiens, herbeizuführen versuchen, indem sie ihn weniger wissenschaftlich als vielmehr normativ einfach anders bestimmen. Wissenschaft leitet hier ihre eigene Existenz als postwissenschaftliches Nachfolgestadium ihrer selbst ein und belegt zugleich dessen Möglichkeit. Der Rest ist ein verordneter und flächendeckend in der Form des auch ‚akademischen trainings’ durchgesetzter ‚Lernprozeß’, dessen Massen‑‚output’ mit der vollständigen Kontrolle dessen, was da noch einfallen kann identisch ist, ein Sachverhalt, der dadurch endgültig aus dem Blick gerückt wird, dass der Gebrauch des Wortes ‚Denken’ oder ‚denken’ mit ihm gleichgesetzt, ‚identifiziert’ wird.

Man muss sich klar machen, wer und in wessen Auftrag und Interesse diese Identifizierung vornimmt und einüben, eben: lernen lässt, um zu verstehen, dass hier jeder Gedanke an eine Identität von Wissenschaft und ‚Aufklärung’ in einer bestimmten Tradition oder Propaganda, jeder Gedanke an einen Zusammenhang zwischen der Eigenpropaganda der Herrschaft[form] und dem, was ihr an Realität entspricht, aufgegeben werden muss, wenn man die Realität auch nur von ganz fern ins Auge zu fassen bestrebt ist, um deren ‚Erkenntnis’ es hier gehen müsste. Die ‚Bildungsinstitutionen’, die Schulen und Universitäten sind in keinem Fall mehr unter dem Gesichtswinkel der zweckmäßig weiterhin in einem bestimmten Umfang, eben soweit es zweckmäßig sein kann, ihre tatsächliche Funktion hinter eingeübten Vorurteilen zu kaschieren, um ihr Funktionieren vorerst zu gewährleisten, und die Kapitalisierung der so genannten ‚Bildung’ profitträchtiger vorantreiben zu können, nützlichen Ideologie der Bildung angemessen verstanden, was ihre Funktion und den gewandelten Sinn von ‚Bildung’ betrifft, der hier übrigens die interessante Variante eines Bedeutungszusammenhangs konstituiert, bei dem ein tradiertes Verständnis in Gebrauch bleibt, das der Realität dessen, was unter diesem Titel geschieht und angestrebt wird, nicht entspricht, so wenig wie das Resultat, das dann ja als individuelle, lizensierte Bewusstseinsverfassung ‚anfällt’ und zugleich als Massenoutput, dem entspricht, was sich gemäß dem tradierten Inhalt des gebrauchten Wortes an Vorstellungen damit verbindet.

Diese sind vielmehr das Verhängnis einer systematisch erzeugten Illusion des Individuums, das sich aufgrund einer ihm erteilten Lizenz für etwas halten soll, was es dem Vorgang nach, dem es unterworfen war, gar nicht sein kann.), falls er gelingt (und alles spricht dafür) gleichbedeutend mit dem Ende des Homo sapiens. Man benötigt dann ein anderes Adjektiv als ‚sapiens’, insofern das Wissen des Menschen von sich selbst, so unglaublich das klingen mag, erlöscht: „Die metaphysische Interpretation des ‚ist’ ist im Reiche der Zeit der Staatsstreich der Gegenwart“. Natürlich klingt das einem bestimmten sich selbst entsprechend einer Gewohnheit als ‚Denken’ identifizierenden Verhalten, in der Tat einem Automatismus entlang von unbewussten Voraussetzungen, denen die scheinbare Ordnung der Einfälle als einer auf Reflexen, Gegensätzen und Kontiguitäten beruhenden durchaus regelhaft, sogar stereotyp und deshalb erwartbar gleich bleibend sowie verallgemeinerbar und persönlichkeitsunabhängig folgt, einfach aufgrund flächendeckender und nachhaltiger Dressur in Massenorganisationen, gänzlich unglaublich. Denn alles ist doch im ‚grünen Bereich’: Die gemachten ‚Lernprozesse’ sind günstig bewertet, der ‚soziale Erfolg’, dessen Kontingenzen den ‚Aufstieg’ regulieren, funktionieren, und die unabweisbaren Erfolge der Maschinisierung des Lebens belegen doch, dass hier gedacht worden sein muss und gedacht wird.

Und dazu braucht es nichts als die Unmittelbarkeit der geltenden, im allgemeinen Gebrauch sich spiegelnden Sinns der Worte. Das alles kann man nur ignorieren, wenn man Techniker, Politiker oder Sekretärin werden will, Agent im weitesten Sinne oder Sklave oder etwas, das noch weiter ab liegt, metaphorisch einem Wesen entsprechen müsste, dessen Anpassung an die Imperative des Überlebens einer Taubstummheit entsprechen müsste, die auf einem Verzicht auf den Gebrauch der entsprechenden Sinnesorgane beruhen müsste, bei formaler Erhaltung ihrer Funktionalität, so wie man im Zustand einer hohen Konzentration starr einen Menschen ansehen mag, ohne ihn zu sehen, und wie man dabei einen in der Umgebung herrschenden Lärmpegel ignorierten mag, während der, den man ansieht, meint, man nähme ihn ‚wahr’ und höre, was er sagt, alles ‚Daten’, die zugleich im physiologischen Sinne Tatsachen entsprechen. 2)

Es ist also kaum verwunderlich, dass dieser Mann als lächerliche Karikatur erscheint. Es ist wiederum die Sicht der Dinge, wie sie aus der Perspektive einer Sozialwelt erscheinen muss, in der es zum Realitätsbewusstsein, zur angemessenen Einstellung gegenüber der menschlichen und Naturwelt gehört, das Bewusstsein des Raubtiers, das der Homo sapiens ist, in der Form der sozialen Aggressivität, eines Konzepts wechselseitiger Nutzung und die vorrangige Orientierung am Inbegriff der Beute, wie sie sozial erscheint, nämlich dem Gold, als Inbegriff des Reichtums, der Überlegenheit des Ranges in der sozialen Ordnung. Das vorchristliche, aber in das Bewusstsein der christlichen Welt als Kultur eingegangene Bild des messianischen Friedens, in dem der Mensch erst zu sich selbst kommt, indem er mit seiner Raubtiernatur ebenso versöhnt wird wie die Tiere und damit seinesgleichen ebenso von der Verfolgung erlöst wie die Beutetiere davon erlöst werden, ist aus der Perspektive des Beutemachens lachhaft. Es ist eben nicht möglich zugleich – und dann ausschließlich – an Gold und an Gott zu glauben.3) Und die in der Erzählung projektierte Sozialwelt ist ausschließlich am Glauben an das Gold determiniert, ebenso wie die seelische Ausrichtung des handelnden Personals. Dieser ist der Rand der Welt als Gegenwelt kontrastiert, die aus der Sicht des Realitätsprinzips der ihr entgegen gesetzten als eine Lächerlichkeit erscheint, und der sie repräsentiert erscheint als Tor. Auch dazu – einer Auskunft über den ‚Mammon’, als der das Gold in der Bibel figuriert, und der Torheit (des Glaubens) finden sich die entsprechenden Auskünfte in der Bibel.4)

Es sind also christliche Motive, die hier in einer bestimmten Sicht als kulturelle Bestände entwertet und lächerlich gemacht werden angesichts einer auf den Besitz, die Macht, die Mittel zu ihrer Erhaltung in der Form der List, Gewalt, des Betrugs und des Besitzstrebens sowie auf den Inbegriff von alledem in der Form des Goldes und den überlegenen sozialen, auf alle diese ‚Werte’ gegründeten Ranges, indem der Mann, der sie verkörpert, als eine hässliche und abstoßende Karikatur überzeichnet wird. Denunziert wird die Kultur der christlich nominell christlich geworden Welt selbst im Sinne des Realitätsprinzips, dem sie als Sozialordnung gehorcht, und das sie als Kultur faktisch widerlegt. Das lässt sich schon daran erkennen, dass die Redeweise von einer Gegend, „wo sich Fuchs und Hase ‚Gute Nacht’ sagen“, oft in herabsetzender Weise gebraucht wird, um ahnungsloses und ‚blauäugiges’ Hinterwäldlertum, Tölpelhaftigkeit zu kennzeichnen, und diese Absicht fasst sich dann auch im Hinweis auf ‚Wolkenkuckucksheim’ zusammen, wo der Übergang zur ‚psychiatrischen Diagnose’ im Verständnis des ‚Volksmunds’ dann schon mit erscheint, der sich dann in Ausdrücken wie der ‚Klapsmühle’ Klarheit über seine eigene Mentalität verschafft. Das kann man als erfolgreiche Anpassung und angemessenen Realitätssinn betrachten. Und so geht es anscheinend ja durch. Denn der Königin ist doch am Ende Erfolg beschieden, während das Männchen verschwindet oder (sich) zerreißt. Man könnte das auch als Untergang in der Schizophrenie verstehen, in der Psychose.

Es sind aber auch andere bekannte Formen der Selbstzerstörung denkbar, und mancher wird das, wenn er nur genau hinzusehen lernt, aus seiner eigenen Familientradition kennen, und auch die überraschende Einsicht gewinnen können, dass diese als Konstellation über Generationen hin bemerkenswerte Ähnlichkeiten aufweist mit der Familienkonstellation von Rumpelstilzchen. Derart enthält das Märchen denn eine ganz plötzlich durchsichtig werdende Wahrheit, die man ihm auf den ersten Blick gar nicht zutraut. Man sollte also nie der verbreiteten Meinung zu viel zutrauen, die sich darüber ergeht, dass jemand, der ‚bloß Märchen’ erzählt, nicht die Wahrheit sagt. Dass diese Form, die Wahrheit zu sagen, wiederum bloß für Kinder sein soll, ist wiederum dann ganz unverständlich, wenn man bedenkt, dass es die Erwachsenen sind, die sie nicht einmal verstehen, wo das doch die Leute sind, die immer darauf beharren, dass es ihre Sache ist alles zu verstehen.

Man muss also den Hinweis verstehen, den der ‚Bote’ nach langem Zögern und angesichts der händeringenden Verzweiflung der Königin erst herausrückt (er scheint zu erkennen, dass ihr nichts anderes vorstellbar ist, es sei denn in der Form des Unglücks), dass er den Mann, der um das Feuer tanzte und von den Vorbereitungen eines Hochzeitsfestes zu sich selbst sprach in Erwartung der Erfüllung seines offenbar lange gehegten Wunsches (denn Mann und Frau werden erst mit dem gemeinsamen Kind zu einer Familie) dort fand, „wo sich Fuchs und Hase ‚Gute Nacht’ sagen“, also an einem schon beinahe unglaubwürdigen Ort, einem, anders gesagt: mythischen Ort am Rande der Welt, die kaum an die grenzt, in der gewöhnliche Menschen leben, von dem die Menschen der Welt, in der Müllerstöchter und Königssöhne leben kaum etwas ahnen können, weil ihre Aufmerksamkeit auf ganz andere Dinge und vor allem auf Dinge beschränkt ist, oder soll man sagen: ‚fixiert’ oder ‚konzentriert’ .

Der (einzige) Wunsch nach dem Kind, der ja auch besagt, dass es andere sinnvolle Wünsche gar nicht geben kann, ist damit auch ein Indikator für die Rückkehr dieses Menschen in den Umkreis der Schöpfung, der er entstammt, die zugleich auch das Bewusstsein der Kreatürlichkeit der eigenen Existenz, Tier unter Tieren zu sein, ohne Konflikt nicht nur einschließt, sondern als Boden alles realitätsgerechten Selbstbewusstseins und Weltbewußtseins aufdeckt und bejaht. Aber dieser Wohnort bewahrt ihn nicht vor dem hinterhältigen Beobachter und Schnüffler, der sich in sein Leben einmischt und – die Augen der Geliebten hat, die ihn nur als böse Karikatur wahrzunehmen in der Lage ist, als Zerrbild eines Menschen in ihrem durch den Neid, den Größenwahn, und die raubtierhaften Instinktresiduen, die diese Ordnung regieren, bestimmten Koordinatensystem, an der sie ihr Bewusstsein geeicht hat.

Seine Welt grenzt an diese und in der Gestalt der Müllerstochter, ihrer Schönheit, die oben schon näher charakterisiert wurde, ist er bereits auf eine Weise in sie einbezogen, die zwar diesem Gefüge dienlich ist, insofern er als Mittel aufgefasst wird, eine Überlegung, die in einer Welt, in der sich Fuchs und Hase ‚Gute Nacht’ sagen, undenkbar ist, nicht aber seinen Vorstellungen und Wünschen, die alsbald von der Seite dieser Welt her vereitelt werden. Nicht einmal dem Wind, der umgebenden Luft durfte er vertrauen, auch am Rande dieser Welt nicht, wo er seinen Namen ausspricht und sich damit der Ranküne preisgibt, die ihn dann um das Versprochene bringen wird, indem sie ihm zunächst ein Zugeständnis abringt, indem sie eine Bedingung stellt, die dem nicht zureichend als Gegner aufgefassten umworbenen Wesen erst die Möglichkeit eröffnet ihn zu enttäuschen, um ihm dann das Geheimnis zu entlocken, das ihn schützt.

Die Betrachtung ist damit an einen Punkt gekommen, an dem nun verständlicher werden kann, warum das Märchen bei einem einigermaßen disponierten Zuhörer Befremden und ein vages Gefühl der Desorientierung hinterlassen muss. Nicht nur erscheint der Ausgang befremdlich, der Zuhörer wird geradezu in die Irre geführt von der Struktur und der Auslegung der Erzählung, die den tragischen Helden, diesen Parzifal scheitern lässt und ihn sogar wie sein Schicksal vor dem Leser maskiert, indem sie ihn, wie die Müllerstochter den Mann, der um sie wirbt oder den Königssohn, den sie ‚hinters Licht führt’, ohne dass er das je erfährt. Der Mann, der ihr das Gold spinnt, erfährt immerhin noch, wer sie ist, wenn auch um den Preis einer das Herz zerreißenden Enttäuschung, und nicht einer Wut die ihn sich selbst mitten entzwei reißen lässt. Auch dieser Aspekt der Gestaltung des Ausgangs der Erzählung ist eine Täuschung des Zuhörers, die den tragischen Helden nicht nur zur Karikatur verzerrt, sondern die darüber hinaus selbst einer magischen Handlung entspricht, indem sie ihn als Sündenbock dekoriert verschwinden lässt mittels einer Art von Implosion, einem Eskamotiertrick auf offener Bühne, einer magische Handlung, deren Subjekt ja schon in einer Vermutung bezeichnet wurde, und die den Sinn hat, die Protagonistin, also die ‚Magierin’ selbst zugleich zu rechtfertigen und zu entschuldigen.

Der Mann, der Rumpelstilzchen hieß, war arglos, kooperativ, lebte am Rande einer hinterhältigen Welt, wo die Feindschaft sogar zwischen Raubtieren und ihrer Beute aufgehoben war, tanzte gelegentlich um sein Feuer und sang, und freute sich darauf endlich das ihm versprochene Kind zu bekommen als Lohn für alles, was er für eine junge Frau in großer Not und Ratlosigkeit getan hatte ohne es zu müssen, und die er wegen ihrer Schönheit zu lieben begonnen hatte. Er hatte diese Behandlung und den Betrug nicht verdient. Die Königin, eine dünkelhafte Müllerstochter mit dem Hang zum Adel und Aufstieg, deren Kehrseite unzweifelhaft die Verachtung ihrer eigenen sozialen Herkunftsumgebung und im Übrigen alles ‚Niederen’ ist eine hinterhältige Intrigantin und ohne jede Fähigkeit zu einem angemessenen Dank und der Pflicht zu einer sozialen Haltung, in der Gabe und Gegengabe in einer gewissen Weise einander entsprechen müssen, und das hat der Mann zu spät bemerkt. Deshalb ließ er sich offenbar übertölpeln. Die verzerrte Karikatur, die wir von ihm haben, entspricht weder seinen zusammengefassten sozialen Verhaltensweisen, die ihn als zuverlässige Person ausweisen, noch seinen überlegenen Möglichkeiten und der Überlegung mit der er sie zu Gunsten der Müllerstochter einzusetzen weiß.

Es ist eine vom Hass gezeichnete Verzerrung, die zu seinen Fähigkeiten und Leistungen in keiner Weise passt, und man muss sie einer weiblichen Erzählerin zurechnen, und einer auch in der Erzählung selbst wirkenden List, die die Wahrnehmung des Zuhörers auf eine Weise steuert, die ihn gegen den Helfer einnimmt und ihn als lächerliche, leicht zu übertölpelnden Dummkopf erscheinen lassen soll – ein ganz offensichtlich unsinniger Widerspruch zu dem, was er kann – und die den Zuhörer dazu verführt sich am Ende der Erzählung stillschweigend und eigentlich ohne dass er es bemerkt auf die Seite der vermeintlichen Gewinnerin dieser Intrige zu bringen und ihre Handlungen obendrein zu billigen als rechtens. Die ausgesprochen subtile Verführung, die darin steckt, zeigt dieselbe Intriganz auf der Erzählerinnenebene wiederholt, die das Verhalten der Frau gegenüber den beiden Männern, die um sie werben regiert. Deshalb kann man getrost wiederholen, dass es sich um eine Erzählung handeln muss, die aus der heimlichen Schatztruhe weiblicher ‚Listen’, Strategien und Taktiken handelt, die den Mann als potentiellen Gegner einstufen und nach Bedarf und Wunsch ebenso heimliche Kriegsführung gegen ihn anleiten.

Die Gründe für den in archaischen Kulturen (die man gelegentlich gut kolonialistisch auch gern ‚primitiv’ nennt, ohne sich klar zu machen, dass ALLE koexistenten Kulturen dieser Welt etwa dasselbe Alter haben, also alle Ergebnisse der in gleicher Weise auf sie wirkenden Selektion und Evolution sind und im Wesentlichen denselben Prinzipien gehorchen) weit deutlicher zu Tage tretenden Gegensatz der Geschlechter, deren Interaktion mit zahlreichen Tabus belegt sein kann, sind hier nicht auszuführen. Dass sie dort in der Form von Regelungen deutlicher zu Tage treten, bedeutet indessen nicht, dass sie in modernen Zivilisationen verschwunden sein müssen. Eher sieht es so aus als fungieren sie unvermindert weiter hinter anderen Erscheinungsbildern. Es genügt aber, einen Blick auf die modernen Debatten zu werfen, sowie auf ihre Folgen um sich eines Besseren belehrt zu sehen.

Zugleich haben wir aber ein soziales Modell in nuce, dass alles Wesentliche an Struktur enthält, damit man daraus einen sozialen Kosmos konstruieren kann, in dem die Frau als Mutter die Erzieherin der Kinder beiderlei Geschlechts ist. Nicht zufällig entdeckten wir sie als Handlungszentrum der Erzählung. Sie ist auch das heimliche Zentrum eines auf der Außenseite patriarchalischen sozialen Kosmos.

Auch wir, vielleicht so wenig wie sie, wissen, wer der Vater des Kindes ist, das sie bekommt. Bestenfalls Rumpelstilzchen könnte uns das vielleicht sagen, sei es auch klärendes, das die Lage vereindeutigt. Es ist aber nicht zu vermuten. Eher erscheint er als der Vater. Das legt auch die andere Variante nahe, in der er am Ende in Übereinstimmung mit seinen sonstigen Charakterzügen als mit besonderen Fähigkeiten begabtes Wesen auf einem Besen, also unter Mitnahme der im phallischen Symbol des männlichen Zeugungsorgans ‚zum Fenster hinaus fährt, um nie wieder zurück zu kehren’.

Wir wissen zwar nichts darüber, aber nehmen wir einmal an, das Kind der Königin ist weiblich. Wird sie es dann zu einer ebensolchen Betrügerin erziehen wie sie eine ist? Nehmen wir an, es ist männlich. Wird sie vor dem Jungen nicht sorgfältig ihr Geheimnis hüten, ihn also in gewisser Weise als blindes Huhn erziehen, und das Mädchen zur Giftschlange? Wie wird sich das in beiden Fällen auswirken? Nehmen wir an, alle Mütter oder Lehrerinnen sind so und erziehen ihre Kinder auf diese Weise, die männlichen so, zu Menschen, die bestimmte Sachverhalte, reale Aspekte des sozialen Lebens, nie oder nur entstellt erfahren, und die weiblichen zu solchen Trickstern? Wenn die nun beide voneinander wüssten, was wir wissen, würden sie sich noch als Partner miteinander verheiraten und langfristige Pläne machen wollen, wie sie zur Gründung einer Familie unumgänglich sind? Die Antwort darauf kann nur ‚nein’ lauten, und nicht anders. Sie tun es aber, weil sie es eben nicht wissen, und das reproduziert, schafft diesen Kosmos sozialer Hinterhältigkeit in jeder Generation aufs Neue.

Immerhin kann diese Asymmetrie in den Erziehungsmethoden des weiblichen Personals, das sich ja überall findet, das Zurückbleiben der allgemeinen Intelligenz der nachwachsenden Jungen gegenüber den Mädchen erklären helfen, besonders wenn und wo die Konkurrenz von früh an nicht mehr unter den Mädchen um die Ehemänner, sondern unter allen und daher auch zwischen Männern und Frauen um die abnehmenden Arbeitsplätze von früh an eingeübt werden muss, und es dabei darauf ankommt, alle Vorteile nutzen zu lernen, und das weibliche Erziehungspersonal natürlich immer auch ein Hühnchen mit den Männern zu rupfen hat, angesichts der anhaltenden Blockierung der gesellschaftlich einflussreichsten Machtpositionen, und angesichts dessen dürfte die allzeit noch immer fällige Revanche dafür die angreifbareren Geschlechtsgenossen unter den Männern treffen, also die jeweiligen Ehemänner, aber vor allem die männlichen Zwangsklienten in den Erziehungsinstitutionen jedenfalls dort, wo karrierebewußte Frauen den Typen zeigen können, wo’s lang geht. Am Ende käme dann alles zusammen: Es wäre ja doch unklug, die traditionellen (weiblichen) Methoden bloß deshalb aufzugeben, weil man nun als Zuwachs an Möglichkeiten auch die in Anspruch nehmen kann, die bisher den Männern vorbehalten waren. Da tun sich Möglichkeitshorizonte auf, die ungeahnte Ausblicke in eine blendende Zukunft eröffnen.

Es ist angesichts des Umstands, dass eine angemessene Betrachtung der Voraussetzungen, die eine Gegenwart bestimmen angebracht, noch einen Blick auf den Gegensatz zu werfen, in dem die beiden der Müllerstocher zur Wahl stehenden ‚Liebesobjekte’ stehen, der ‚Königssohn’ und ‚Rumpelstilzchen’. Man darf sie weniger als ‚Eigennamen’ denn als Typisierung des Objekts verstehen. Der ‚Königssohn’ ist im Märchen gewöhnlich und stets der Typ des begehrten Liebesobjekts der ‚Prinzessin’, die ihm symmetrisch als Typus entspricht. Das ‚Rumpelstilzchen’ dagegen verkörpert den Typus eines eigentlich verabscheuten Objekts, das sich anstelle des eigentlich begehrten zur Wahl stellt. Im Drama ist das entweder der Schurke, der die Jungfrau zur Heirat zu zwingen versucht oder der Hanswurst, der sich durch das Bekenntnis seiner Liebe und mit seinem Antrag lächerlich macht.

Was also hier am Ende als ‚Name’ des Mannes erscheint, den die ‚Königin’, die Mutter also glücklich herausgefunden hat, indem sie dem Manne abgelauscht hat, wie er sich selbst in Augenblicken der zurückgezogenen Selbstbesinnung und des Selbstzweifels nennen mag – „Bin ich nicht eigentlich ein Idiot, mich auf dies alles eingelassen zu haben, habe ich die Zuneigung dieses Wesens wirklich gewonnen, verabscheut mich die Mutter meines Kindes nicht am Ende“ usw. -, immerhin in der voller Freude gehegten Erwartung des Kindes, auf das sich unter diesen Umständen seine Hoffnungen, ein liebendes Wesen zu finden, das seine Zuneigung erwidert, die ihn singen und tanzen lässt um ein Feuer, das Symbol seiner durch die erforderte Geduld und angefachten ‚Leidenschaft’, die ihn aber auch auf eine ihm dann so nachteilig werdende Weise kompromissbereit macht, das ist nicht so sehr sein Name als die endlich zu Tage tretende Typisierung durch die Königin gewordene Müllerstochter, die nunmehr ihrem Abscheu keine Beschränkung mehr auferlegt und sie mit plötzlich hervorbrechender Brutalität ihrem bisher bereitwillig in Anspruch genommenen Helfer entgegenschleudert. Es ist dieses Unerwartete, der plötzliche mörderische Überfall, den die von jeder Rücksicht befreite Gemeinheit und Niedertracht entbinden, auch dies eine Art von Ausgang einer Schwangerschaft also, die den damit unerwartet konfrontierten Mann zerreißt. Dabei ist der Gegensatz zwischen den tatsächlichen, in der Erzählung beschriebenen Charaktereigenschaften der beiden Typen kaum in einen größeren Gegensatz zu dem jeweiligen Typus zu bringen als das das Märchen tut.

Rumpelstilzchen, das verabscheute Objekt, der abgelehnte, aber in Anspruch genommen Bewerber hat die Voraussetzungen, die von dem gewählten Mann erwartet werden müssen, in jeder Hinsicht, die Fähigkeiten, die Bereitwilligkeit, die Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit, die Geduld und das Vertrauen in die umworbene junge Frau. Der ‚Königssohn’ sonst Inbegriff des begehrten Objekts, ist ein gieriger und brutaler, bedrohlicher und kaum als verantwortlich einzustufender Bewerber, ein Mitgiftjäger, und auf jeden Fall ein Typ, dessen vordringliches Interesse jedenfalls NICHT das Kind ist, während das verabscheute ‚Rumpelstilzchen’ nichts anderes als dies wirklich wünscht von der jungen Frau. Derart ist dieser Gegensatz von Typus und Charakterisierung, den die Erzählung konturiert zwischen den beiden zur Wahl stehenden Bewerbern in Wahrheit auch eine Charakterisierung der jungen Frau. Aus ihrer Perspektive erscheinen beide im Typus als das, was die junge Frau aufgrund ihrer triebhaften Dispositionen in den Männern sieht, im Gegensatz zu dem was sie aufgrund ihrer Charakterisierung durch die Erzählung wirklich sind, und damit die triebhaft bedingte Perversion der Objektwahl der jungen Frau, die offensichtlich gar nicht anders kann als die beiden Bewerber mit dieser Verblendung zu überziehen, einer Verblendung, die immun ist gegen die ihr unzweideutig angebotene und über einen längeren Zeitraum auch zur Verfügung stehenden Möglichkeit einer korrigierenden Erfahrung, die sie mit beiden vertraut zu machen imstande sein müsste.

Die junge Frau ist eingeschlossen in dem ihr mitgegebenen Vorurteil – das auf ihre Erziehung durch den Müller, ihren Vater diffus verweist, jedenfalls aber auf ihre Erzieher und das Milieu, in die sie aufwuchs. Wir wissen ja, wie gesagt nichts über die ohne Zweifel unabdingbare Mutter, obwohl wir sicher sein können, dass sie eine haben muss. – und es erscheint ihr als nicht subtrahierbare Eigenschaft ihrer möglichen ‚Liebesobjekte’, es determiniert ihre Partnerwahl. Aber es leitet ebenso ihre hinterhältigen Stratageme, mit denen sie diesen mitspielt. Die perfide Bosheit, die den einen auf die eine Weise trifft, wird den anderen auf lediglich andere Weise betreffen, auch wenn wir nichts darüber erfahren, weil die Erzählung mit der Auflösung, der endgültigen Entscheidung der nunmehrigen ‚Königin’, die hier ebenfalls im erzähltypischen Modus des Gegensatzes von Typus und Charakter – denn die ‚Prinzessin’, die dann durch die Partnerwahl ‚Königin’ wird, ist ebenfalls ein gewöhnlich reiner Typus mit ebensolchen Absichten – endet.

Die vermeintliche Mitteilung des Namens, der doch nur der ist, den der Mann selbst als seinen eigenen bezeichnet hat, ist nichts als die Verwirklichung seiner vorweggenommen Befürchtung, dass die Frau um die er wirbt, ihn dazu machen wird bzw. ihn auch dafür hält. Es sind die schlimmsten Befürchtungen, die ein um eine Frau werbender Mann haben kann, wenn er an die befürchtete Ablehnung denkt. Die sich ständig erneuernde Hilfsbereitschaft des Mannes, seine Zurückhaltung – was willst Du mir geben? -, die die Wahl der Qualität der Gegengabe ihr selbst überlässt und sich damit zufrieden gibt, bis sie sagt, dass sie nichts (mehr) habe, das sie ihm geben könnte, weil sie arm ist, und er sie darauf aufmerksam macht, dass ihr Reichtum darin besteht, ihm das Kind geben zu können, das sie bekommen wird, und das er sich als einziges von ihr wünscht, sind technisch gesehen durchaus als eine Art ‚anaklitische Reaktion’ auf ihre Hinhaltetaktiken zu betrachten, also als verstärkte Bemühung um die Vermeidung eines Konflikts, eine Haltung, die sich in der endlich ihm auch noch abgerungenen Bereitschaft sich auf eine Bedingung einzulassen, die sein sei es auch vorläufiges Schicksal vollständig von dem Urteil der Frau abhängig macht, die ihm das Kind doch versprochen hat als Gegengabe für seine Unterstützung, mit unübersehbarer Deutlichkeit äußert und zuspitzt.

Derart wäre also auch eine Erklärung gefunden für den Sinn dieser ‚Namensgebung’ und der Wirkung der nun zur Bedingung gemachten ‚Nennung des Namens’, insofern diese besagt: „Du bist nicht ‚mein Königssohn’, sondern das ‚Rumpelstilzchen’ in diesem, meinem Spiel und seiner Konfiguration, und nun ist es heraus und ich kann es Dir sagen und Du kannst es wissen.“ Wer nachlesen will, wie das alles mit den Untersuchungen des Problems der so genannten ‚Magie’ und ‚Hexerei’ zu tun hat, also wissen will, in welchem Verhältnis die Erzählung zu den zu ihrer Entstehung zeitgenössischen Formen des psychologisch und soziologisch bzw. Kulturanthropologisch auflösbaren Glaubens an Magie und Hexerei in der Bevölkerung steht, der kann sich umtun und wird bestimmt fündig werden und kann sich dazu dann selbst weiter denken, was sich daraus ergeben kann.

Hier ergeben sich nun erneut neue Aspekte der Untersuchung, die zu verfolgen zu einigen bemerkenswerten Ergebnissen führt. Das wäre die Frage, wieso es eigentlich zu diesem gerade besprochenen Gegensatz in der Objektwahl kommen kann und welche Gesichtspunkte sich da herausarbeiten lassen. Aber die Betrachtung soll ja auch fertig werden und es gibt keinen Anlass, sie auszudehnen. Man kann auch manches ungesagt lassen. Andererseits habe ich die Erfahrung gemacht, dass man das nicht Ausgeführte dann nie mehr ausführt, und die Beruhigung, man habe das verschoben, beruhte auf der sich einstellenden Unlust, das noch weiter zu verfolgen. Die Untersuchung würde sich aber absehbar weiter ausdehnen und am Ende ergäben sich Erweiterungen neuer Art usw. Es ist wirklich erstaunlich, wie sich am Ende eines ausgeführten Gedankens sogleich ein Tor öffnet, das den Durchgang zu einem neuen zeigt, der kaum weniger komplex ist. Ich weiß nicht, soll ich….? Ich werde es einfach leid, es fesselt mich schon so lange an die Maschine.

Nun gut: Bekannt ist die Auffälligkeit des Unterschieds im Erscheinungsbild der Geschlechter, die gelegentlich als geradezu als ‚Artunterschied’ innerhalb der Art oder jedenfalls als Befund von einem derartigen Gewicht eingestuft wird. Die Vermutung bzw. Erklärung dieses Sachverhalts geht dahin, dass sie auf eine Selektivität der Partnerwahl des Mannes zurückgeht, die über hunderte von Generationen schließlich den selektiven Effekt hatte, der sich endlich zum Faktum der Eigenart der Schönheit der Frau herausgebildet hat. Es ist kaum bestritten und auch kaum bestreitbar, dass in diesem Aspekt der Partnerwahl triebhafte, auf kaum bewussten, und auch, ‚wissenschaftlich untersucht und erklärt’, kaum sich ändernden unbewussten Voraussetzungen operierende Mechanismen am Werk sind, an denen das Gerede von Pheromonen, Objektwahlkriterien etc. kaum etwas ändert, die also nach wie vor wirken und Verwirrung stiften, deren Objekt stets erkennbar vor allem auch oft die derart zur Entscheidung gedrängten Individuen angesichts der sich einstellenden Folgen sind, die dann von diesen mehr oder weniger überrascht werden. Mehr oder weniger thematisch ist das in allen ‚Liebesgeschichten’, in denen der Konflikt zwischen den je geltenden kulturellen Regeln, die die Partnerwahl mehr oder weniger beschränken thematisiert wird, die also eine auf die entsprechenden Instinktresiduen triebhaft bedingter, also mehr oder weniger unbewusst motivierter Partnerwahl beruhende Orientierung beschränken und sich ihr im Namen kultureller Regeln entgegenstellen.

Ob die beobachtbare politisch motivierte Abmilderung dieser Regeln, von denen formal genau genommen kaum mehr anderes als das Inzesttabu noch in unbestrittener Geltung ist, vielleicht weil es intergenerationelle Beschränkungen darstellt zusätzlich zu den sonst intragenerationellen, hier eine wirkliche, gegenüber der wie auch immer versprochenen Entlastung bewirkt, ist auf den ersten Blick unklar, auf den zweiten ergibt sich eine Verschiebung im Ablauf der dramatischen Kontext der nunmehr dem privaten Dafürhalten überlassenen Partnerwahl, deren triebhafte Mechanismen sich im Übrigen auch verstärkt. Man muss sich aber vor allem, abgesehen vom ‚Sexskandal’, der an die Stelle der einstigen Messalliance etwa vom dramatischen Gehalt der ‚Agnes Bernauer’ getreten ist, die mehr oder weniger unauffälligen Überraschungen vor Augen halten, die sich in der Form der Massenergebnisse als statistisches Phänomen darstellt, in denen ihre Summe erscheint, zu der sie sich quantitativ zusammenballen, um einen Eindruck davon zu erhalten, welche faktische Bedeutung das wirklich hat, in der Form der Trennungen und Scheidungsraten, in denen sich die früher als solche notorische Tragödie verbirgt und zugleich derart banalisiert, dass sich mit dem Abbau der kulturellen Beschränkungen zugleich das Maß der faktischen Instinktabhängigkeit der Partnerwahlvorgänge genau genommen viel deutlicher darstellt als das in einer Kultur der Fall ist, deren Regeln einerseits striktere Beschränkungen der Partnerwahl auferlegen und die andererseits zu einer strikteren Übernahme der Folgen dieser Wahl verpflichten.

Zugleich tritt damit der Sinn der beschränkenden Regeln deutlicher zutage, also gerade angesichts einer politischen Motiven folgenden Deregulierung, die die Verfügbarkeit von Menschen, ihre ‚Mobilität und Flexibilität’ zur obersten Direktive der Regulierung des sozialen Lebens im Namen der ‚Freiheit’ erhebt, und die der ‚privaten Willkür’ auf diese Weise beinahe jeden Spielraum gewährt und damit den unbewussten Motiven der Partnerwahl. Da diese kaum mehr als angedeutete Zurückführung des Erscheinungsbildes der ‚sozialen’ Gegenwart für den mit Kenntnissen Versehenen hinreichend skizziert sein dürfte, kann ich zu den hier im Mittelpunkt stehenden Weiterungen übergehen. Was unter diesen Umständen auf jeden Fall entscheidend bleibt für die Partnerwahl ist das Verhältnis, in dem die unbewusst triebhaften Beweggründe mit denen stehen, die ein Individuum im Kontext seiner allgemeinen und besonderen kulturellen Situation im Zusammenhang einer Familiengründung und ihrer Konsequenzen auf lange Sicht dazu anhalten, sich einer Urteilskraft zu bedienen, die alle diese Folgen langfristiger Planung, die Beschränkung, die mit der Partnerwahl einsetzt usw., also alles was vorauszusetzen ist, wenn eine nachfolgende Generation in einem durch die Familie – dem Ursprung und Herd aller Kultur – definierten und umrissenen Kontext aufwachsen können und ordnungsgemäß eingewiesen werden soll in die Aufgabe der Übernahme der Funktion, die die jeweils lebende Erwachsenengeneration für die Erhaltung und Weiterentwicklung (wenn’s denn sein muss) der Kultur in der Generationenfolge hat. Man muss sich dabei klar machen, dass Kultur, als Inbegriff der Regeln, die für das menschliche Leben in seinen aufeinander folgenden Phasen gelten, die sich wohl unterscheiden lassen, gegenüber den Tendenzen und Antrieben, denen sie auferlegt sind, und denen sie deshalb nicht zufällig auch widersprechen, mit denen sie in Konflikt geraten können, die Bedeutung eines kontrafaktisch stabilisierten Gefüges hat, das gewissermaßen rein geistiger Art ist, und wem das zu spiritualistisch ist, der muss sich damit anfreunden, dass man es, und sei es auch nur mangels Besserem als sprachliches Gebilde dann auffasst, wen und wo das Ritual, das Kultur als Handlung darstellt in Sprache als Handlung aufgegangen ist, anders gesagt, wo die rituelle Darstellung von Kultur aus dem Gefüge des Alltags der Lebenswelt verschwunden ist und sich auch nicht länger deutlich in den Festen konturiert, die als Unterhaltung oder Medienindustrie auf die absorbierten kulturellen Funktionen aus Gründen ihrer Determinierung durch unmittelbar verwaltungstechnisch-politische und ökonomisch Interessen keine Rücksicht nehmen können.

Ich will versuchen, das möglichst abzukürzen. Andererseits muss dem kritischen Geist Rechnung getragen werden, der sich bemüht zeigt, das alles möglichst komfortabel as absurdum zu führen. Man muss ihm aber andererseits genügend Fähigkeit zutrauen, auch eigene Schlüsse zu ziehen, die sich im Kontext selbst ergeben, also Voraussetzungen, die diesen Kontext berücksichtigen und nicht einfach ignorieren. Auf dem Hintergrund der Ignoranz mögen sich dann freilich Schlüsse ergeben, die niemand mehr unter Kontrolle hat, auch nicht der/die, der/die sie ‚ziehen’, was dann heißt, es sind, was immer sonst, jedenfalls keine Schlüsse. Angesichts des skizzierten Kontextes ergibt sich damit auf jeden Fall ein Gegensatz zwischen der mehr oder weniger von Instinktresiduen beherrschten Mechanismen der Partnerwahl – die hier den Titel ‚Mechanismus’, der gern so wahllos angewandt wird in der sozialwissenschaftlichen und der Psychologie mit oder ohne ‚sozial’, ganz buchstäblich verdient – und einer von einer der angemessenen Einweisung in die kulturellen Voraussetzungen der kulturell vermittelten Formen der Arterhaltung des biologischen Wesens Homo sapiens angeleiteten Wahl, wobei die faktischen Bedingungen und Gegebenheiten, die die Möglichkeit einer langfristigen Planung determinieren ebenso in Betracht gezogen werden müssen wie die jeweilige Art und Weise, wie sie den gruppenspezifischen und individuellen Fall betreffen, auf den die derart ins Spiel kommende Urteilskraft – die wiederum dazu als kulturelle Ausstattung vorausgesetzt werden (können) muss – dann jeweils angewandt werden muss, damit nicht ein Fehlurteil oder einfach nichts als die triebhaft bedingte ‚Entscheidung’ an deren Stelle tritt, was auch denkbar ist.

Man muss die verschiedenen Varianten nicht eigens noch argumentativ durchspielen um sehen zu können, worauf das hinausläuft, und es ist nur der Bequemlichkeit halber, auch angesichts der Möglichkeit des Missverständnisses – das also jetzt ‚verstanden’ wird, was nicht gemeint ist anstelle dessen, was gemeint ist – wenn man die Wahl der Müllerstochter einmal dem Typ der ‚narzistischen Objektwahl’ zurechnet, also einem unbewussten Mechanismus, dessen volkstümlicher Ausdruck lautet: „Gleich und gleich gesellt sich gern“, oder: „Wo Tauben sind fliegen Tauben hin“, mit allen Implikationen, die das hat, auch in dem Sinn: „Sage mir mit wem Du umgehst, und ich sage Dir, wer Du bist“, was natürlich Sozialarbeiter und Polizisten nicht betrifft, sagt man, während die unterschwelligen Affinitäten der in diesen Berufen typisch miteinander interagierenden Gruppen von anderen Autoren wiederum herausgestellt werden, aber das muss und hier nichts angehen. Eine Beeinflussung der ‚Verhaltensweisen’ in der ‚sozialen Interaktion’ bzw. ‚Kommunikation’ ist indessen rein phänotypisch oft so wenig von der Hand zu weisen wie das Faktum der Rekrutierung beider Gruppen aus demselben sozialen und schichtenspezifischen Milieu.

Es ist ja eine der Methoden der politischen Herrschaft, auf diese Weise intragenerationelle und intraschichtenspezifische Gegensätze zu erzeugen und zu stabilisieren, durch Rekrutierung eines Teils der Schicht oder Generation zu dem Zweck, sie gegen die andere als Drohpotential in Stellung zu bringen, eine politische und Sozialtechnik, die sich auch auf interschichtenspezifische Spaltungen erweitern lässt. Man muss sich nur die typischen Äktschnkrimis der vergangenen Dekaden ansehen um zu erkennen, wie sehr der typische Polizist sowohl von seinen Handlungen wie von seiner Mentalität, vom sozialpsychologischen Typus her eigentlich der Verbrecher im Staatsdienst ist, eigentlich das ‚perfekte’, weil weder als solches auffällige noch als solches notorische organisierte Verbrechen verkörpert. Im Falle der Müllerstochter, die ja auch ‚die Seite wechselt’, ist das ganz offensichtlich.

Hier liegt sowohl der Typus der narzistischen Objektwahl als auch die bewusste Kalkulation, die sie mit dem ihr auch mental und psychologisch ähnlichen, zum Verwechseln ähnlichen Partner ebenso spontan wie unaufhaltsam verlötet, und man wird sich im Prostituiertenmilieu umzusehen haben um auf die am deutlichsten von diesem Muster geprägten Allianzen zu kommen, die aus dieser Art von Wahl jenseits der Grenzen oder am Rande der Kultur hervorgehen, einem allerdings anderen ‚Rand’ als dem, wo sich Fuchs und Hase ‚Gute Nacht’ sagen, denn hier sagen sich über die Mittelsfrau der Prostituierten der Zuhälter und der Freier sich ‚Gute Nacht’, während einvernehmlich die Frauen mit deren Einverständnis zum Zweck eines in der Gegenrichtung zu diesem Frauentausch fließenden Geldstrom getauscht werden, also zu einem Zweck, der den kulturellen Verband sowohl zwischen den Geschlechtern als auch zwischen den Familien oder größeren Einheiten, in denen sie aufgeht als Element, auflöst und den Frauentausch jenseits der Grenzen der Kultur dem einzigen Zweck unterwirft, diesem Strom Ressourcen zuzuführen. Auch hier bleibt die Frau ‚Quelle’, aber sie ist eine Geldquelle, und gerade nicht Quelle des Lebens der nächsten Generation.

Dieser ‚innere Rand’ der Sozialwelt, in dem die Müllerstochter, der Müller und der Königssohn zugleich als Vater, Tochter, Braut und Bräutigam, beherrschte und herrschende soziale Schicht, Betrüger und Betrogener, usw., einander gegenüber stehen, einer Welt, in der Rumpelstilzchen nicht anders denn als ‚Idiot’ wahrgenommen werden kann, ja sogar als das Böse, das zugleich der Lächerlichkeit preisgegeben werden darf, und an dem jeder Betrug gerechtfertigt erscheint, ist allerdings ein anderer Rand als der im Verhältnis zu ihr ‚externe Rand’, in dessen Ring Rumpelstilzchen existiert, und von wo aus er ‚Ausflüge’ in die Binnenwelt, den inneren Ring zwischen dem Extrem des inneren Randes, der die Unterwerfung des Ganzen unter einen auf das Symbol des gesellschaftlichen Reichtums umgelenkten und diesem abgeleiteten Ziel unterworfenen Trieb eines Predators mit ganzjähriger Brunft vollendet in der Welt der Prostitution und der Zuhälterei, in der es nur noch um die wechselseitige Nutzung zum Zweck der Befriedigung der Gier geht, die auch den inneren Ring der Sozialwelt irreversibel kontaminiert hat, ohne sein reines Prinzip unter Verzicht auf die kulturelle Maskerade zu inszenieren, die dem äußeren Rand ihre Kostüme entnimmt, ohne die Erscheinung ihrer Qualitäten überhaupt noch wahrnehmen zu können (die Müllerstochter deutet ja alle Angebote des Mannes in dem von ihr wie allen anderen Akteuren außer dem ‚Männchen’ als selbstverständlich und alternativenlos geltend aufgefassten Prinzipien des Funktionierens der von ihr (als organischem Substrat) so gut verkörperten wie bloß ‚repräsentierten’ Regeln einer animalisch gesteuerten Sozialwelt, die den Schein des Menschlichen bloß mitschleppt, indem sie anderes als die verallgemeinerte Geltung der von Instinkten entriegelten Triebstruktur eines Allesfressers gar nicht zu erkennen ermöglicht, während sie sich mit den Beutestücken und Trophäen des von ihr überwältigten Menschen schmückt und lediglich bemäntelt, zugleich als Zeichen ihres Triumphes und als Tarnung, die das Beutemachen und die Jagd erleichtert.

Daraus lässt sich ein schönes Modell konstruieren, das zwei konzentrisch angeordnete Ringe um einen konzentrischen Kern zeigt, von der die Welt des Rumpelstilzchens die ‚verteufelte’ Kulturwelt, einen dünnen äußeren Rand, der zweite, breite Ring die Welt ausmacht, als deren Kern wir die Müllerstochter als Handlungsprinzip ausgemacht hatten, und als deren Kern sich die reine entriegelte Bestialität einer triebhaften Existenz entpuppt, deren ‚Qualitäten’ und Eigenarten – in der Form einer bigeschlechtlichen Kollusion organisierten Selbstbezüglichkeit - diese unmittelbar mit dem reinen Ziel aller entfesselten Gier kurzschließt, so dass sich die Sozialwelt als bloße Maske dieses Kern konfiguriert, die dem äußern Rand lediglich das immer wieder erneut rituell erbeutete Kostüm der Kultur entnimmt, das es sich als Trophäe umhängt, eine Art Umkehrung dessen, was Herkules tut, indem er sich Fell und Kopf eines Löwen kleidet. Der innere Kern schließlich lässt diese Maske fallen zugunsten einer Nutzung des (Geschlechts‑)Triebs als Mittel zur Befriedigung des abgelenkten Triebziels der Bereicherung.

Das Prinzip des Austauschs verbindet alle diese Bereiche, aber auf unterschiedliche Weise. In der mittleren Welt (dem inneren der beiden konzentrischen Ringe) verlaufen Frauentausch – als Tausch zwischen Männern - und Gold in derselben Richtung. Ihnen entspricht als Gegengabe der soziale Rang und das Prestige bzw. die Macht. In der inneren Welt des konzentrischen Kerns werden Frauen gegen Geld zwischen Männern getauscht. Der Austausch mit dem äußeren Rand erreicht den inneren Kern nicht, und er stellt den produktiven Input bereit, der das Gold nicht nur zirkulieren lässt, sondern vermehrt. Es ist der Austausch mit einer Quelle, der Quelle des Reichtums, der in der Form des Goldes allerdings wiederum nur als ‚allgemeines Äquivalent’, als Materie des Symbols des sozialen Austauschs erscheint, und erwartet wird das Kind, also das neue Leben der folgenden Generation. Dieser Tausch wird allerdings abgebrochen, denn ihm entspricht am Ende kein Ausgleich. Das neue Leben wird vielmehr als Input in den inneren Ring, die mittlere Welt zurückgeführt und dort verfügbar gemacht, um den Preis allerdings des Abbruchs des Austauschverhältnisses mit der produktiven Quelle des Reichtums, die das Gold macht.

Der Austausch im inneren Kern bleibt unproduktiv an die Zirkulation des Goldes fixiert, und ihm entspricht ein Nichts. Die triebhafte Betätigung des Fortpflanzungstriebs läuft in der Prostitution leer. Der Frauentausch, als Resultat der Exogamieregel, die größere soziale Gruppen zu bilden erlaubt, wird funktionales Mittel zur Akkumulation von Geld, dem im Austausch kein Produkt entspricht, vor allem aber nicht das Produkt neuen Lebens. Man kann sehen, dass die Welt des inneren Rings einen Kompromiss darstellt zwischen der des äußeren Rings und der des inneren Kerns. Sie ist zugleich Übergangsform zwischen beiden und man wird darin eine Welt der Herrschaft, Gewalt und der Gier sehen können, die das neue Leben auf eine bestimmte Weise benutzt, zur stets erneuten Inszenierung des Betruges, der notwendig ist um ihre Erhaltung zu garantieren, in der doppelten Weise der Nutzung des Zugangs zur Welt des äußeren Randes und ihren produktiven Potenzen durch ein – gebrochenes – Versprechen und die Nutzung des neuen Lebens als Funktion zur Erhaltung der Grundlagen des Lebens selbst, dessen sozialer Aspekt der gesellschaftliche Reichtum ist, der im Gold nur die Materie hat, die das Symbol dieses Reichtums ist. Fatal ist am Ende aber gerade dieser Aspekt: Man kann dafür schließlich ALLES haben, und das ist streng genommen zu viel. Es verkehrt die menschlichen Verhältnisse – über zwei Zwischenstufen, von denen die Welt des inneren Rings die uns vertraute gewöhnliche Sozialwelt der hierarchisierten Hochkulturen nach dem Sündenfall des Einbruchs der Herrschaft in die menschlichen Lebensverhältnisse und ihre Organisationsformen darstellt - bis zur Perversion, die den Fortpflanzungstrieb der Art in der Prostitution leer laufen lässt und das abgeleitete Triebziel ‚Gold’ – alias Reichtum, Rang, Prestige und Macht - an die Stelle des Treibziels der Zeugung des neuen Lebens setzt.

Die Schweigsamkeit der ‚schönen Seele’ der Müllerstochter verbirgt nur diesen bestialischen Kern, der sich in die abgemilderte Form ihrer asozialen Bosheit und ihrer Entschlossenheit durch den Betrug zum Erfolg zu gelangen, einkleidet, so dass sie einerseits ist, was der innere Rand, der konzentrische Kern in Reinform auch zur Schau stellt ohne Rücksicht auf die kulturelle Maske, aber unter Nutzung und Rekonfigurierung des Prinzips des symbolisch vermittelten Austauschs, des Prinzips der Sozialwelt, und andererseits sich selbst die Verbindung offenhält zu jener Transzendenz, die ihr die Potenzen zugänglich macht, über die die inneren Kreise bzw. Ringe dieses Kosmos nicht verfügen, sondern die sie nur ausbeuten könnten mit den Mitteln der Gewalt und des Betruges, die die Zwecke der triebhaften Gier zu realisieren erlauben, und zwar, wie das Märchen zeigt, ungestraft, unerkannt – es gibt keine ‚Deutung’ des Märchens bisher – und unter dem Mantel des kulturellen und damit des ‚normalen’ Lebens, dessen Maske die stets erneut zur Beute gemachten spezifisch ‚menschlichen’ Potentiale der zum Symbolismus disponierten Tiergattung des Homo sapiens jedenfalls so lange war, wie die Strukturen und die Präponderanzen der die inneren Ringe steuernden und konfigurierenden Virulenzen nicht auch diesen an sein Ende gebracht haben. Eben dieses Ende deutet sich indessen in jedweder denkmöglichen Form des Endes der Erzählung an.

Ob das Rumpelstilzchen nun einfach zum Fenster hinausfährt, eine Zerreißprobe nicht übersteht, oder sich einfach in Luft auflöst ist für diesen Aspekt des Endes des Menschen nicht erheblich. Das sind vielmehr die möglichen Folgen dieses Verschwindens, mit dem ja auch der offenbar hauchdünne äußere Rand dieser Welt sich in Nichts auflösen müsste. Man kann es der Phantasie des Lesers überlassen, die sich daraus ergebenden Folgen für ‚den Rest’ selbst zu bewerten, und er darf dabei seinen Neigungen soweit und solange folgen, wie es nicht das Bewusstsein dafür trübt, von welcher Art diese Folgen sein könnten.

Inwieweit eine ‚repressiver Entsublimierung’ flächendeckend und nachhaltig unterworfene ‚Sexualität’, ein Kunstprodukt, das der Kapitalisierung menschlicher bzw. von Arteigenschaften auf Kosten des Menschen dient, diesem Typus der kulturellen Randerscheinung oder gar ihrer Auflösung sich annähert, ist dem Leser zur eigenen Beurteilung überlassen.

Unter ‚repressiver Entsublimierung’ ist dabei eine bestimmte Zurichtung der Geschlechtseigentümlichkeiten des Gattung Homo sapiens bzw. der mit der Fortpflanzung und dem eigentümlich von zeitlichen Einschränkungen entbundenen Geschlechtstrieb verbundenen Eigenschaften der Art durch Mechanismen, die Interessen transportieren und vermitteln, die auf eine bestimmte Nutzung dieser Eigentümlichkeiten und Eigenschaften abgestellt sind. Natürlich sind diese Nutzungsinteressen symbolisch vermittelt, was nicht dasselbe ist wie zu sagen, sie seien ‚sozial’ vermittelt. Denn die symbolische Vermittlung löst angesichts der Art des mittels ihrer geltend gemachten Kalküls das ‚Soziale’ gerade auf. Repressive Entsublimierung (ein von Herbert Marcuse in seinen Büchern: Der eindimensionale Mensch, und anderen gebrauchte Terminus) meint die Nutzbarmachung der oben charakterisierten Eigenschaften und Eigentümlichkeiten zunächst in der Weise ihrer Isolierung (nicht zuletzt in der Form der ‚wissenschaftlichen Forschung’, die zugleich diese Zurechtmachung zu einem Objekt und ihre Nutzung für ‚die Forschung im Dienste des Menschen’ ist) als Objekt, das dann als solches genutzt werden kann in anderen Bereichen als der Forschung, die hier die Pionierarbeit geleistet hat, von der sie zugleich als Erste hervorragend profitiert hat, also vor allem in der Produktwerbung, in allem Geschäft, das mehr oder weniger unmittelbar an die Nutzung der ‚Sexualität’ anknüpft, also an das ‚Lustprinzip’, wie z. B. die Popmusikindustrie mit ihren Fans und ‚Ikonen’, bis hinunter in das Milieu, das sich um die Prostitution in urbanen Lebensverhältnissen unaufhaltsam ausbreitet und dort mehr und mehr Elemente des einstmals ‚sozialen Lebens’ anzieht und seinen Austauschprinzipien anähnelt, wie z. B. die längst normalisierten, von der Familiensoziologie beharrlich ignorierten Einbürgerungen von ‚Lebensunterabschnittspartnern’ und dergleichen, die das soziale Leben und die es umgebende ‚Kultur’ im Wesentlichen der Form der Truppenunterhaltung angleichen. Sexualität, oder, inzwischen: Sex, wird derart zum Konsumartikel, ‚zwischenmenschliche Beziehungen’ – schon die terminologische Prägung ist eine Form der Perversion – geraten zu wechselseitigen Zeitverträgen zur Nutzung der geschlechtlichen Merkmale – oder Körpereigenschaften – des so genannten Partners, die Prostitution wird ein Kompensationsgeschäft auf Wechselseitigkeit, und die von vornherein auf die Ausbeutung der Abhängigkeit des Partners abgesehenen Heiraten in der Prominentenszene, die einen speziellen Typus der ‚Jägerin’ hervorgebracht haben.

Der derzeit prominente Fall ist die ‚Frau’ von Paul McCartney, der diese, als sie seine ‚Freundin’ war – eine gewisse Heather Mills - schließlich ohne Ehevertrag geheiratet hat, mit dem jetzt offenbar werdenden Ergebnis. Er hat ihr vorbehaltlos vertraut und ein Raunen ging durch die Presse als er sie heiratete, so als wüsste man schon worauf es hinauszulaufen droht. Um so höher ist zu veranschlagen, dass er es demonstrativ tat es ist ein Beleg dafür, dass er tatsächlich einem Typus entstammt, die einen anderen inneren Kompass hat, nein, der überhaupt noch einen hat, also auch polare Orientierung in einem durch soziale Werte strukturierten Magnetfeld, Werte, die durch keine Wissenschaft und Technik angegeben werden können, sondern unüberholbar durch deren Fortschritt, wohin immer das fortschreitet, wenn man es so weiter lässt, durch die längst schon uneinholbar erbrachte Leistung der Hochreligionen festgestellt ist. Wenn jemand, dass ist er ein Rumpelstilzchen, aber er ist mit Sicherheit nicht das einzige. Denn es kommt hier nicht auf die Prominenz an, sondern auf die Koinzidenz mit dem gemeinten Prinzip ganz ohne Rücksicht auf sie, die ja ein Merkmal der Sozialwelt des ‚inneren Rings’, also der Welt der ‚sozialen Hierarchien’ ist. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass dieser Typus ganz ohne Rücksicht auf die je in Rede stehenden Quantitäten zu definieren ist: Am ‚oberen Ende’ geht es um zig Millionen, und am unteren Ende betrifft die Raubgier ein paar Sammeltassen oder einen Videorecorder. Das ist aber ein Beleg dafür, dass es um das Quantum gar nicht geht, und dass der Typus selbst nicht so sehr abhängt von der sozialen Struktur, sondern sie vielmehr verkörpert, also die strukturellen Voraussetzungen der sozialen Hierarchien jeweils nur konkretisiert, als Individuum. Sie gehen diesem voraus.

Die Isolierung des Geschlechtstriebs als ‚Sexualität’, seine Umwandlung in ein ‚marktfähiges Produkt’, schließlich die Abstraktion des ‚Sex’ aus dem sozialen Komplex der ‚Liebe’ bereitet nicht nur die Möglichkeit der Massenidole vor, die das politische Führerprinzip karikieren, und endlich das der sozialen Hierarchien mitsamt dem Aufstiegsmechanismus der ‚Karriere’ persiflieren, sondern auch jene Primitivismen, die sich in den Formen manifestieren, die Sexualität und Ausbeutung unmittelbar kurzschließen und im Symptom des ‚Scheidungskrieges’ notorisch werden lassen, in dem alles so erscheint, als sei es von vornherein auf gar nichts anderes abgesehen als die am Ende stehende Abzocke, ein Erscheinungsbild, das mit der üblichen Zeitverzögerung, die die Dauer des kollektiven Lernprozesses angibt, zurückschlagen muss auf diesen Anfang und das soziale Gefüge zerschlägt, als letzte Konsequenz der Kapitalisierung der Verhältnisse des menschlichen Nahraums, den einmal die damit erledigte Familie einnahm.

Das führt zu einem eigenartigen Dualismus: Während einerseits die technische und artistische oder handwerkliche Intelligenz die Welt zu steuern scheint, derart, dass ausschließlich das ZNS bzw. der Neokortex, das Sprach‑, Seh‑ und Hörvermögen des Homo sapiens die Welt regiert, sieht es so aus, als entspräche dem ein anderes, entgegen gesetztes Prinzip, das die Welt mit dem Geschlechtsteil steuert und lediglich solche Hirnfunktionen benötigt und instrumentalisiert für die Zwecke einer Nutzung, die ursprünglich mit dem Geschlechtstrieb zusammenhängen, also olfaktorische – d.h. beim Menschen weitgehend verkümmerte und nebensächliche - oder noch viel ältere Regionen des Hirnstamms und der archaischen Hirnregionen benötigt. Es dürfte sich lohnen, diesem Dualismus und der Art und Weise nachzugehen, wie er das Massendasein der Biomasse des Homo sapiens am Ausgang seiner Existenz als ‚sapiens’ tatsächlich durchdringt und steuert, und es ist zu vermuten, dass die sich abzeichnende Entwicklung sich gar nicht entschlüsseln und einem Verständnis zuführen lässt ohne dass man das gründlich tut. Bedauerlich ist die Lächerlichkeit, die das hat.

Es sieht so aus, als löse die Farce, der Schwank die Tragödie als Leitprinzip der Historie ab, ein Eindruck, den die aus den wirkenden Mechanismen im Verhältnis von Ich‑Analyse und Massenpsychologie hervorgehenden Führer und ‚Eliten’ der ‚Demokratien’, die Führerindividuen ungemein verstärken angesichts der von ihnen verkörperten Primitivismen einer ‚Intelligenz’, die unmittelbar an archaische und kaum auf der Höhe der Komplexität der Verhältnisse Eigenschaften des Homo sapiens der Cro‑Magnon‑Zeit anknüpfen, also an die Epoche nach dem Ende des Neandertalers, die den im Wesentlichen unveränderten Allesfresser bewahrt und überliefert hat, der der modernen Industriegesellschaft als ihr physiologisches und biologisches Substrat unterliegt.

Man muss befürchten, dass sie diesem Substrat am Ende ihrerseits unterliegt. In keinem Fall sind die Mechanismen der Auswahl der Führerindividuen mehr zeitgemäß, und man kann sagen, dass das spätestens seit ca. 400 v. Chr., und allerspätestens seit Christi Geburt so ist. Genau genommen sind alle Hochreligionen Zeugnisse des klaren Bewusstseins, dass dies so ist, und genau dies ist ihr eigentlicher Sinn, ihre unaufhebbare Bedeutung. Verglichen damit sind die derzeit so gefeierten Leistungen der Physiker und Kosmologen Formen des organisierten Verbrechens an der Menschheit und es ist dreist und unverschämt, diese auf die der Ohnmacht des Glaubens angesichts der Mächte - die diese Welt beherrschen und die Physiker alimentieren und ihre ‚Produkte’ zu bekannten Zwecken nutzen, nämlich vorwiegend als Damoklesschwert über der versklavten Biomasse der Art – geschuldeten Fehler und Verwicklungen, die Kompromisse und Unterwerfungen, die Handlangerdienste zu projizieren, die die unvermeidliche Korruption der in den Glaubensorganisationen sich versammelnden Gattungsexemplare begleiten. Auch die wissenschaftliche Erweiterung des Weltbildes auf den Ausblick in den von ihm geschaffenen Kosmos, das Universum, in Teilen eine Projektion der Ergebnisse der ‚wissenschaftlichen Forschung’ aus den für die Zwecke des Bombenbaus hergestellten Zyklotronen, kann nicht davon ablenken, dass hier vorerst jedenfalls eher die äußerste Konsequenz der Predatornatur des Homo zutage tritt und sich ein objektives Gegenbild in einer von seiner Intelligenz geschaffenen Welt hergestellt hat, die sich mit der intellektuellen und sozialen Leistung der Hochreligionen auf keine Weise jemals wird messen können.

Wie immer das in Zukunft ausfällt, die Physik und jede andere Wissenschaft, so sie sich nicht den wesentlichen sozialen und gesellschaftlichen Leistungen der Hochreligionen unterzuordnen versteht, wird als humanisierende Leistung in die Gattungsgeschichte nicht eingehen können. Denn die Technik und die Technologie, das ist nur allzu evident, ändern zumal unter dem Eindruck der Fixierung der gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse an von Instinktresten eines kannibalischen Raubtiers gesteuerten Archaismen nichts an den Verhältnissen unter Menschen, es sei denn, dass sie seine Abschaffung und die Zerstörung alles dessen bewirken, was am organisatorischen Gefüge noch menschlich ist.

Die Verwendung des Terminus ‚repressive Entsublimierung’ dürfte damit klar sein. Es geht nicht um die Abstützung das hier Gesagten auf der ‚Theorie’ von Herbert Marcuse, sondern um die hier reformulierte Verwendung der ebenfalls hier definierten Bedeutung des Terminus, wie immer das mit der des Autors zusammenstimmt oder nicht. Der Regress auf die Frage ob dessen Theorie einen Sinn macht oder nicht erübrigt sich damit.

In keinem Fall ist die von ihr – der Sozialwelt der Müllerstochter, des Müllers und des Königssohnes - beanspruchte ‚Toleranz’ angemessen und – im Übrigen ganz intolerant, in der Form eines Thematisierungsverbots – einzufordern, die davon Abstand zu nehmen hätte, diese verwaltungstechnisch gewollten und erzeugten Affinitäten und Anähnelungen auch nur beim Namen zu nennen. Es zeichnet sich ab, in welcher Richtung das soziale Gefüge unter dem Druck der zum Prinzip erhobenen und im Gold (Geld) symbolisierten Synthese der unersättlichen Gier eines zur Selbstbegrenzung – zur Vernunft, die die Befunde der Hochreligionen auf der Höhe des wissenschaftlich‑technischen Zeitalters als säkularisierungsfähig ausweist - unfähigen Raubtiers mit entriegelten Instinkten und dem Prinzip des symbolisch durch Sprache und Kultur vermittelten Tauschs, den die Animalität des Predators, auf dem sie aufsetzt erfolgreich unterwandert, schließlich kollabieren muss, wenn und weil es aus nahe liegenden Gründen – die vordergründigste ist die Entwaffnung der Kritikmöglichkeit, die auch nur die Möglichkeit einer Wahrnehmung dessen, was vorgeht zu verhindern sucht, indem sie ihr den kulturellen Ort entzieht, von dem aus sie – als bloße Wahrnehmung - erst möglich würde, geschweige denn auch zur Sprache gebracht werden könnte, unter der wie auch immer ‚sublimierten’ Kontrolle der Predatoren, die die Populationen als die Herden halten, von deren Fleisch sie leben, und auf deren Kosten, gegenüber gerade derjenigen Variation stabilisiert bleiben, und zwar mit allen Mitteln, die dazu verfügbar sind, die geeignet sein müsste, die Vorherrschaft der unersättlichen Gier dieses kollektiven Raubtiers zu brechen, das den Inbegriff alles dessen ausmacht, was sich selbst den Namen der ‚Hochkultur’ zugelegt hat, und das Niedrigste generative Prinzip ist, aus dem sich biologische Ordnungen bilden können, in derselben Hinsicht subhuman und prähumam oder auch gänzlich gleichgültig gegenüber der Möglichkeit einer als menschlich mit Recht zu bezeichnenden Existenz, wie das Bakterienkulturen, Virenpopulationen und Marder im nächtlichen Hühnerstall sind.

Es ist also nicht einmal mehr so sehr der Gegensatz zwischen – abgekürzt zu sprechen – narzistischer Objektwahl und mental bewusster sozialer Grundeinstellung, die hier endlich die Selbstreproduktion des sozialen Gefüges steuert, sondern vielmehr der Kollaps dieses Gegensatzes, der die Instinktresiduen und die kognitive (Raubtiereinstellung) der Tierart zum Inbegriff der Kultur selbst erhebt, als von Organisationsinteressen verwaltete Zivilisation, die am Ende jede – als Beschränkung wirkende – kulturelle Regel und Rücksicht systematisch ausgrenzt und nach Wolkenkuckucksheim, wenn nicht, nach Möglichkeit, in die Klapsmühle exiliert. Die perfektionierte Ordnung dieser Art ist diejenige, in der die Spur der Existenz des ‚Männchens’ getilgt ist. Rumpelstilzchen ist der vorletzte Akt vor dem erinnerungslosen Vergessen, das sich als Inbegriff des Lebens auf der planen Fläche einer sich nach allen Seiten ins Unabsehbare verlierenden Monokultur alternativenlos erstreckt, ohne den Rand, der den Übergang in das mögliche ganz andere ankündigen könnte.

Wir sind Zeugen des Untergang des letzten Menschen vor der Machtergreifung des Homo sapiens, lange vor Nietzsche und in einem anderen Sinn als dem, als den er diesen Übergang dachte, nämlich als den zum Übermenschen. Eher wäre es der Übergang zum Untertier, angesichts der irreversibel entriegelten instinktiven Bremsen, denen das Tier, besser: Jedes andere Tier als der Homo sapiens, eben diejenige Beschränktheit verdankt, die das Überleben der Art garantieren konnte – bis der Homo sapiens die Bühne betrat. Auch hier verliert sich alles im USW. das hier nicht unbedingt mehr zur Sprache kommen muss, und sei es nur aus Zeitgründen, angesichts der Vordringlichkeit des Befristeten und auch angesichts der Möglichkeit der Rechtfertigung der Überlegung, das ein genügend deutlicher Teil das Ganze, das sich darin abbilden lässt, durchaus zu vertreten imstande ist, nicht so wie eine Landkarte das kartographierte Terrain, aber vielleicht so wie eine Formel die Reihe vertritt, die die auf andere Weise repräsentiert.

Das ist also nicht erschöpfend. Wie immer, wenn ich an ein Ende komme, tut sich sofort die nächste Tür auf und ich fühle mich aufgefordert hindurchzugehen und mir anzusehen, was sich daraus ergibt. So gesehen ist die Festlegung des Endes willkürlich, aber nicht beliebig.
Und deshalb habe ich kein allzu ungutes Gewissen hier zu schließen. Immerhin kann ich noch das sich aus dem Märchen ergebende Verständnis – vielleicht am ehesten des Mannes von dem, was Frau und Kind symbolisch, also kulturell sind, denn das bloße Gattungsexemplar, vorgestellt jenseits der Kultur konstituierenden Symbolik ist kaum ein richtiges Tier, denn dieses lebt ja im magischen Kreis der beim Homo sapiens verlorenen bzw. geschwächten Instinkte: Der Anblick der jungen Frau ist unbewusst gleichbedeutend mit dem Versprechen der erfüllten Zukunft und das Kind ist der Aufgang dieser Zukunft, ihre Realität. 1)

Es ist kaum unverständlich, dass der Mann, dem beides plötzlich, zumal von der Frau, genommen wird, darauf reagiert. Er müsste ein Stein sein, um es einfach ignorieren zu können. Die Gründe dafür, dass dieser Anblick vielmehr täuscht und tatsächlich der des Todes ist, sind oben umrissen. Das hat mit der Raubtiernatur des Homo sapiens und ihrer sowohl vom Instinkt – der dem Artgenossen gegenüber eintretenden Tötungshemmung – als auch, je moderner, desto mehr, vom System kultureller Regeln abgelöster ‚Verhaltensfreiheit’ zu tun (Wohlgemerkt: Es ist hier nicht von den juristisch-rechtlichen Regeln die Rede, die vermeintlich an ihre Stelle treten, insofern die kaum mehr anderen spiegeln als die Methoden politischer Massentierhaltung durch die globalen Großorganisationen, von denen diejenigen, die unter dem Traditionstitel ‚Staat’, einer im übrigen im Hinblick auf ihr Alter umstrittenen Einrichtung, nur ein Moment ausmachen, das disziplinierende, kurz: Das Ensemble der disziplinierenden Einrichtungen, die bedarfsdeckend den Stall renovieren und dem Viehbestand zu entnehmen bestrebt sind, was sie jeweils entsprechend dem von ihnen selbst erzeugten Rhythmus der ‚technologischen’ oder sonstigen ‚Innovation’ zu benötigen meinen, oft mit der Folge, dass es denn, wenn es endlich zur Verfügung steht, gar nicht gebraucht wird oder schon nicht mehr, oder eine Fehlplanung oder das Gesetz der Heterogonie der Zwecke dann ganz anderes erzeugt hat und ‚bereitstellt’ als das ist, was man nunmehr aktuell benötigt. Tja!). Das gewöhnlich kommentarlos gezeigte Thema der Bildenden Kunst: ‚Der Tod und das Mädchen’, hat hier eine seiner möglichen Deutungen.

Der Vollständigkeit halber kann noch gesagt werden, dass das Märchen auf eine Weise, deren Bedeutung mir vorerst nicht zugänglich wurde, einen gleichen (Äquidistanz) Abstand sowohl zum magischen Denken hält wie zum Mythos, denn einerseits ist die Müllerstochter keine Hexe, obwohl sich Züge eines ausgeblendeten magischen Glaubens andeuten, andererseits erscheinen keine Götter oder Heroen. Das Rumpelstilzchen geht kaum als das Eine oder Andere durch. Das Erscheinen des Männchens beruht nicht auf der ihm vorausgehenden Ausübung eines magischen Rituals, einer heimlichen Beschwörung, die sein Erscheinen erzwingt. Ebenso wenig ist das Männchen eine mythologische Gestalt oder ein Dämon. Seine Tätigkeit, auch wenn sie ‚alchimistischer’ Natur ist, ist pure Technik, und insofern Umweg, nämlich die des sonst als weibliche Tätigkeit zuzurechnenden Spinnens. Denn alle Technik ist organisierter Umweg. Aber „zwischen dem Wunsch und seiner Verwirklichung gibt es in der Magie keinen Zwischenraum“ (M. Mauss, a. a. O., S, 96, Vg. Anm. 1). Auch gibt es zwischen Gold und Stroh nicht die spezifisch magische Beziehung der Ähnlichkeit oder Kontiguität. Spinnen kann auch die Müllerstochter, es gehört mit Sicherheit, trotz der ‚fehlenden’ Mutter, zu ihrer häuslichen weiblichen kulturellen Bildung.

Das Männchen, das am ehesten noch als ‚Dämon’ durchgehen könnte – aber die Dämonisierung des Fremden ist selbst eine soziale Handlung, und zwar eine Handlung der Ausgrenzung, die sich auf ein Kollektiv stützt; sie geht von den Anderen aus, sie ist Resultat des ‚Blicks’, der Perspektive der Anderen, psychologisch gesprochen ein Übertragungsvorgang, wie man ja auch von ‚Verteufelung’ redet -, fügt dem nur die Besonderheit der mittels dieser gängigen Technik einhergehenden, sie sozusagen überlagernden Transsubstantiation, der Substanzumwandlung, die Stroh in Gold verwandelt, hinzu. Diese Hinzufügung ist also wissenschaftlicher und technischer Art: Es weiß, wie man aus Stroh Gold macht, und kann es auf dem Spinnrad ausführen, im Gegensatz zu der Müllerstochter.

Die modernen Kenntnisse der Komposition der Atome belegen die Möglichkeit dieser ganz rational möglichen, wenn auch aufwendigen Umwandlung. Das ist am ehesten verwandt mit bestimmten Auffassungen von ‚Magie’, zur Zeit der Entstehung des Märchens, als man von der Differenz der atomaren und der chemischen Substanzen noch nichts wusste, also auch den Unterschied zwischen chemischen Stoffen und Elementen nicht erkannt hatte. Aber die metaphorische Bedeutung, die sich in der Symbolik des Goldes als dem Repräsentanten des sozialen Austauschs vergegenständlicht, ist ein Hinweis darauf, dass hier die produktive Potenz der gesellschaftlichen Produzenten gemeint ist, die die materiellen Grundlagen des Reichtums tatsächlich erzeugen, der im Gold nur seine täuschende verdinglichte Repräsentation findet, deren Schein von Selbständigkeit und Eigentlichkeit den ‚Königssohn’ verführt zu einer Verkennung, die erst ermöglicht, dass sich seine Triebziele derart verschieben auf einen sozialen Schein.

So bleibt der kaum angedeutete, am ehesten moralisch, sozial und kulturell religiös verankerte Hintergrund des Märchens ebenso abgedunkelt durch eine oberflächliche Assoziation mit magischen und mythischen Anklängen, wie die eigentümliche Struktur, die ständig einen Dualismus durchspielt zwischen den beiden Protagonisten, der Zeichnung bzw. Überzeichnung des ‚Männchens’, der ganz gegensätzlichen und unvereinbaren Charaktereigenschaften der Protagonisten (die Unschuld der Müllerstochter und ihre Durchtriebenheit, ihre Passivität und tatsächliche Funktion als Handlungszentrum, die groteske Erscheinung des Männchens und seine Herkunft aus der Welt, wo sich Fuchs und Hase ‚Gute Nacht’ sagen, sowie seine Nachgiebigkeit und Hilfsbereitschaft einerseits, und seine Potenz und anscheinend leichte Übertölpelbarkeit andererseits. Es ist hier aber daran zu erinnern, dass das Männchen sich den ‚Namen’, den die Königin dann als seinen ausspricht, selbst gibt und zugleich preisgibt, und die dazu schon erwähnten Umstände sowie die Bedeutung, die das haben dürfte, indem der Mann der Frau zur Wahl stellt, ob sie ihn als ‚seinen Namen’ aussprechen will – ihn also als Narren abfertigen – oder ob sie sich dadurch zu ihm bekennen will, damit aber auch ihre wirkliche Wahl zu erkennen ist, eben deswegen, weil sie ihr durch den Mann freigestellt ist, dass sie dies nicht tut, indem sie etwa bekennt, dass sie seinen Namen nicht weiß, jedenfalls aber den ihr zur Verfügung gestellten nicht für bare Münze nimmt.

Das Spiel der Interaktion ist in jedem Fall komplexer anzunehmen als es auf den ersten Blick und für ein zu einfach gestricktes Gemüt ausschauen mag. Das ist die Pointe.). Man kann das als die antididaktische und antilerntheoretische sowie die gegen eine Verhaltenstheorie gerichteten Haltung des/r Erzählers/in betrachten, einer Verhaltenstheorie, die sich an der scheinbaren Unmittelbarkeit der Erscheinung unter Umgehung der doppelten symbolischen Vermittlung von Erscheinung und der Wahrnehmung orientieren zu können meint. Denn gerade, dass hier etwas bloß gelernt werden kann, widerspricht dem mit dem Männchen eingeführten schöpferischen Prinzip, das anderes verlangt als die Wiederholung und die Auffassung des zirkulierenden Wissens, und es ist hier auch nichts von einer an Lernzielen aufbereiteten Didaktik zu bemerken, die häppchenweise und abfragbar ‚beibringt’, worum es hier eigentlich geht. Im Gegenteil, die Erzählung ist ein Test auf die Voraussetzung des produktiven Vermögens der schöpferischen Durchdringung des Zusammenhangs durch den Zuhörer/Leser, den die Erzählung hier symbolisch vertritt. Sie selbst ist gewissermaßen zirkulierendes Gold, in Gestalt von Stroh. Es ist die Aufgabe des Lesers, sie zu Gold zu ‚spinnen’. Das mag man dann eine ‚Spinnerei’ nennen. Man wiederholt damit die Überzeichnung des Männchens in der Geschichte auf Kosten der Wahrnehmung seiner Potenz. Damit mag man sich dann selbstbewusst brüsten.

Derart operiert die Antididaktik der Erzählung eher am Rande einer intendierten Verführung, die den Mittelpunkt ihres Bedeutungsgehalts durch eine systematische Verzerrung verschiebt in Richtung der Sozialwelt, als deren unbewegter Beweger und Handlungszentrum die Müllerstochter erscheint. Denn sie ist schön, arm und unschuldiges Opfer, so kann es scheinen, und in gewissem Sinn ist das nicht ganz unrichtig, wenn man ihre vorgängige Anpassung als einen sich ihrem Bewusstsein und Willen oder einem unabhängigen Urteilsvermögen entzogenen Vorgang betrachtet, der das nahezu unvermeidliche Ergebnis ihrer Enkulturation in diesem ihr ohne Bewusstsein vorgegebenen Rahmen ins Auge fasst.

Es erinnert aber zugleich an, oder weist wenigstens implizit darauf hin, dass nach einer Überlieferung ‚das Haupt bzw. Antlitz der Medusa schön ist’. Die systematische Funktion der ‚Schönheit’ ist hier ganz antiplatonisch nicht so sehr als Vorschein der Wahrheit und der Idee gedacht, sondern mythisch als Abgrund der Täuschung der Erscheinung – man könnte auch den Gegensatz von apollinisch und dionysisch heranziehen um das Gemeinte zu verdeutlichen: Platons Verständnis der Schönheit wäre dann als ‚apollinisch’, und das mythische Verständnis als ‚dionysisch’ oder tragisch zu charakterisieren - zugleich als Inbegriff einer Natur, in der die Mimikry ebenso eine Jagdtechnik ist wie eine der Tarnung, die sich dem Auge des Opfers oder des Jägers zu verbergen trachtet, damit aber auch mögliches Bild der Warnung an das Urteilsvermögen des Lesers/Zuhörers.

Doch ist damit das Thema des Bezugs zur Magie nicht erschöpft. Denn wenn auch der Leser/Zuhörer weiß, dass die Müllerstochter keine Magierin ist, wenigstens soweit es die Fähigkeit zur Herstellung von Gold aus Stroh betrifft, müsste sie doch wenigstens dem Königssohn als Magierin, als Alchmistin oder gar als Hexe erscheinen. Was der Müller selbst sich denkt, hat den Wert einer ‚self‑fulfilling‑prophecy’. Es bleibt im Dunkeln, was er sich bei seiner Behauptung denkt, außer, dass sie ihre Mitgift selbst besorgen wird oder soll. Der Königssohn aber nimmt die Sache derart selbstverständlich, dass ihm kaum anderes einfallen kann als ‚Mach’s noch einmal’ zu rufen und darauf zu bestehen, dass das auch geschieht. Er ist nicht nur einverstanden, sondern gibt dem Vorgang die Form einer sozial alltäglichen Normalität, auf die der Verdacht der Hexerei oder der Magie, also einer mit einem Verbot belasteten Handlung gar nicht erst fallen kann. Das gilt auch für den Vater der jungen Frau. Der gedankliche Bezug auf die Magie wird hier abgeschnitten durch die Selbstverständlichkeit, mit der dies alles geschieht, zumal der Leser/Zuhörer ja weiß, dass jedenfalls nicht die Müllerstochter hier, wenn einer, die magische Handlung der Verwandlung von Stroh in Gold ausführt.

Das Selbstverständliche an der Handlung betrifft aber auch das Männchen und insofern wird der magische Hintergrund abgeblendet, weil er als solcher nicht qualifiziert wird im Kontext der Erzählung. Erst die Interpretation als produktive Potenz, die in den Zirkulationskontext eingebracht wird, nimmt das Magische wieder aus dem Spiel. Allerdings bleibt doch bei genauerem Hinsehen etwas hängen, und zwar am ehesten an der Müllerstochter, denn ihre schweigsame und damit auch in gewisser Weise der Wahrnehmung entzogene Aktivität hinter dem Erscheinungsbild passiver Inaktivität ist die Magie, die sie die Welt dieser Männer beherrschen lässt, im Verborgenen, dessen Vordergrund gebildet wird durch die Aktivität der Männer, aber natürlich auch dadurch, dass diese voneinander nicht oder nicht das Richtige wissen, so wenig wie von der Bedeutung ihrer Rollen in dem Spiel.

Das macht die Müllerstochter dann doch zu einer Magierin im Sinne des Volksglaubens, das jungen Frauen im heiratsfähigen Alter, während Schwangerschaft und Kindbett besondere Einflussmöglichkeiten und Fähigkeiten zuschrieb. Nicht nur alte Frauen galten als mögliche Hexen, aber natürlich besonders diese angesichts ihrer ‚mütterlichen Potenz’, die eben durch das Alter und die Lebenserfahrung auch ein fundamentum in re, eine Grundlage in der Sache hat. Aber auch diese Andeutung des Magischen wird durch die Selbstverständlichkeit mit der alles geschieht, ohne Zaubersprüche, Beschwörungen und besondere Rituale, abgeblendet. Vielleicht ist es als Empfehlung aufzufassen, die Magie in die Selbstverständlichkeiten des Alltags so einzubringen, dass sie gar nicht als solche erscheint. Das entspräche dann er Absicht der dafür vermuteten Erzählerin, ihrem weiblichen Geschlecht. Aber alles bleibt zweideutig. Denn ebenso ist ja die Warnung des möglichen männlichen Erzählers an den Mann zu hören, die davor warnt, die produktive Potenz zu bereitwillig zur Verfügung zu stellen, die vor der Täuschung der Schönheit der Frau warnt, also, technisch gesprochen: Vor der Überschätzung des Liebesobjekts und der damit verbundenen Trübung des Urteilsvermögens, einer sträflichen ‚Blauäugigkeit’.

Werden hier am Ende die Geschlechter voreinander gewarnt, davor, dass sie in ein ihnen nicht durchschaubares Netz von über sie verhängten Strukturen geraten, die sie eher zu Feinden macht, die hinter dem Gespinst der Täuschungen zu spät erkennbar werden, wenn die Verwicklungen sie bereits auf nicht mehr zu behebende Weise erfasst und zu ihren Agenten gemacht haben? Denn wenn auch das abrupte Ende der Erzählung offen zu lassen scheint, wie die vor dem Auge des Beobachters sich verbergende Geschichte weitergeht, wenn man bedenkt, dass sie in einen Generationenzyklus eingebunden ist, so wird doch die Phantasie des Lesers/Zuhörers von der Suche nach einem versöhnlichen Ausgang beschäftigt und dieser ist schwer abzusehen. Ein ‚Fluch der Atriden’ könnte über den folgenden Generationen hängen. Denn es war schon gesagt worden, dass sie im Gespinst einer Lüge aufwachsen, wenn nicht eine Wendung eintritt, die diese offenbart und einen neuen Anfang ermöglicht. Wie aber soll man sich das denken? Dies zu lösen, lieber Leser, ist Deine Aufgabe.

Die Konstruktion dieser Welt ist eine Konstruktion aus Gegensätzen, kontradiktorischen oder wenigstens konträren. Die Handlungen und der ihnen zukommende Sinn, den sie als isolierte Handlungen nach Art einer Eigenschaft zu haben scheinen, schlagen um in ihr Gegenteil: Aus der Lüge des Müllers wird nicht nur eine Wahrheit, sondern sogar ein Faktum. Aus der passiven Unterwerfung der Müllerstochter wird ihre strukturierende Aktivität, die sich alles unterwirft. Aus der Ahnungslosigkeit des Königssohns, die zu seinem Nachteil gereichen muss, wird eine richtige Antizipation seines Erfolges. Aus der Potenz Rumpelstilzchens wird seine Kastration, aus seinem Vertrauen seine Enttäuschung, aus der Magie der Handlung wird eine alltägliche Selbstverständlichkeit, das Mythische geht über in ein Paradigma des sozialen Lebens.

Im Handlungskontext der ineinander verflochtenen Handlungen bzw. Absichten entstehen Resultanten ganz eigener Art, die sich aus den isolierten Handlungen nicht ableiten ließen. Zugleich erscheinen diese Voraussetzungen als notwendig so wie sie sind. Würde der Müller nicht lügen, die Tochter sich nicht fügen, der Königssohn nicht getäuscht, und das Rumpelstilzchen hätte kein Vertrauen, das Stroh bliebe unversponnen. Wäre die Magie der Transsubstantiationen durch den Input der produktiven Arbeit nicht, es ließe sich kein sozialer Lebensalltag denken. Das Stroh (der bloße Rohstoff) bliebe einfach ein Haufen Stroh. Es kann außer Betracht bleiben, dass es selbst bereits Produkt von kulturell strukturierter Arbeit ist. Wie die Erzählung irgendwo beginnen muss, so muss sie mit irgendetwas beginnen, aber wie immer dieses Irgendwo und dieses Irgendwas bestimmt wird, es befindet sich immer schon im Horizont symbolischer Erschlossenheit. Auch Raum und Zeit sind nicht extrasymbolische Gegebenheiten einer Wahrnehmung jenseits und vor aller sprachlichen Erschließung. Die symbolische Strukturierung wiederholt sich auf der Ebene der Erzählung selbst. Die Handlung erscheint als die produktive Potenz, die die verschiedenen Elemente miteinander derart integriert, dass am Ende eine komplexe Erzählung daraus wird, die zugleich wiederum einfach zu sein scheint, so wie das am Ende aus dem Spinnvorgang hervorgehende Gold unmittelbar als der Reichtum der Gesellschaft erscheint. Erzählung als Vorgang, und ihr Inhalt bilden sich gegenseitig aufeinander ab. Sie können einander vertreten. Die entstehende Resultante hält die Zukunft in unbestimmter Weise offen, und geht in die folgende Sequenz der Entwicklung ein, und der Inhalt der Erzählung entspricht dem spiegelbildlich. Signifikant und Signifikat verweisen wechselseitig aufeinander und schließen sich zu einer sprachlich erschlossenen Welt mit einer offenen Entwicklungsrichtung in der Zeit.

Man muss sehen, dass alles dies nicht auf den ersten Blick zu sehen ist. Es muss erschlossen werden durch eine Betrachtung, die die Elemente der Erzählung isoliert und zueinander in Beziehung bringt bzw. diese Beziehung untersucht, um den impliziten Kontext, der die einzelnen Momente umgibt, den Halo an Bedeutungen, der die Worte umgibt und ihren Gebrauch zu einem expliziten zu machen und mit den Beziehungen, die die Worte miteinander unterhalten, besser: ihren Bedeutungen, zu einem Gesamtbild zu integrieren. Dann wird aber ersichtlich, dass die Unmittelbarkeit der Erscheinung, die die Erzählung evoziert, ein Schein ist. Alles ist bereits Resultat und geht als solches mit einer bestimmten Bedeutung in die Komposition der Erzählung ein, um in ihrem Verlauf eine Umwandlung durchzumachen, die dem Vorgang der ‚Verwebung’ der einzelnen Bedeutungselemente der Erzählung entspricht, so dass am Ende ein Resultat dadurch zustande kommt, dass alle Elemente ihre Bedeutung wechseln. Der Vorgang ist blanke Alchimie und – sie beweist ihre Energie und ihr ‚magisches’ Vermögen.

Alles wechselt die Stelle und erhält eine andere Bedeutung. Das Resultat ‚verschluckt’ die Elemente und ihre isolierte Bedeutung und verwandelt sich in eine einfache Resultante, der man ihren Ursprung nicht mehr anzusehen imstande ist. Aus den verwobenen Elementen der Lüge, des Betrugs, der Enttäuschung und der Listen wird ein einfaches Resultat, das allerdings entsprechend dem Dualismus der Erzählung zweimal dargestellt wird, und damit wiederum eine Wahl lässt: Ist das Ergebnis nun in erster Linie das Kind oder das Gold? Die Erzählung kann auf keines der Momente verzichten, aus denen dann zwangsläufig beides hervorgeht. Weil sie auf keines der Elemente verzichten kann, kann sie auch nicht darauf verzichten, sie so zu ‚integrieren’ wie sie jeweils zunächst von sich aus sind oder zu sein scheinen. Die List erscheint so unverzichtbar wie das Vertrauen, die Arglosigkeit, die Lüge so notwendig wie die Überwältigung der produktiven Potenz, aber alles dies natürlich nur, wenn damit gesagt sein soll, dass dabei genau die Sozialwelt herauskommt und ihre Selbstreproduktion, in der die Erzählung am Ende den Leser/Zuhörer hinterlässt, wiederum mit einer List, die schon besprochen ist, indem die Geschichte unmerklich, aber konsequent alle Bedeutungen in einer Weise verschiebt, die den Ausgang zu einer in sich selbst gerechtfertigten erfolgreichen Selbstverständlichkeit zu erheben scheint. Aber das Aufatmen des Lesers/Zuhörers setzt doch das keineswegs selbstverständliche Einverständnis mit einer bestimmten ‚Lesart’ schon voraus, der sich die Erzählung mit einer ihrer Oberflächen beinahe problemlos anschmiegen zu wollen scheint. Man muss einen Sinn haben für die Zweideutigkeiten, die überall so offen und geradezu dreist ausgesprochen werden, damit man die Methode, den Trick erkennt, der das Geheimnis versteckt, indem er es offen und ohne den mindesten Rückhalt oder Zögern ausposaunt.

Eine vergleichbare Technik wird dargestellt in Edgar Allen Poes Erzählung: Der entwendete Brief, zu der es eine bemerkenswerte Interpretation von Jaques Lacan gibt. Der entwendete Brief wird bei einer genauen Wohnungsdurchsuchung deshalb nicht gefunden, weil er ganz dreist auf dem Kaminsims aufgestellt wird. Da die Durchsuchung von einer Verheimlichungsabsicht ausgeht, übersieht sie das Offensichtliche. Hier ist eine noch weniger durchsichtiger Technik der Verbergung gewählt, die an die dem Leser nicht bewussten Neigungen, sich mit einer mit bestimmten Mitteln herausgestellten, dem Leser zur Identifikation angebotenen Gestalt zu verbünden, und zugleich an seine Vorurteile über das, was erwartbar sozial normal ist, anzulehnen. Der Leser selbst ist es, der der Erzählung den Sinn verleiht, und eine gute Geschichte erlaubt dem einen diese, dem anderen jene Bedeutung zu erkennen, als ganz zwanglos unmittelbare Bedeutung der Geschichte selbst. Derart spiegelt sich auf der Oberfläche der Erzählung das unbewusste Selbstbild des Lesers/Zuhörers, ebenso wie seine unbewussten Wünsche, es sei denn er verfügte über eine Technik, die ihn das Antlitz der Medusa indirekt, in einer Brechung zu betrachten ermöglicht.

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Nachwort:

Dies ist mein Verständnis von Rumpelstilzchen, oder jedenfalls eines wesentlichen Teils davon. Während mir noch ein Gedanke im Umriss vorschwebt, verliert sich das Weitere im vorerst nicht Ausformulierten, ja, im nicht einmal Gedachten. Das Märchen beschäftigte mich seit mehr als 30 Jahren immer wieder einmal und es war mir dunkel klar, dass darin ein Rätsel steckt, dem nachzugehen sich lohnen würde. Es war mir aber nicht klar, worin es bestand. Das ist nun anders. Ich bin froh, dass Du mir nun eine Gelegenheit gegeben hast, durch Dein Interesse, der Sache einmal nachzugehen und ich meine ich habe es im Wesentlichen gelöst. Es war immer etwas Besonderes, das mich periodisch wieder daran erinnert hat, dass es noch getan werden musste. Jetzt ist es getan. Was offen bleiben kann ist die Antwort auf die Frage, was es eigentlich bedeuten soll, ‚den Namen zu erraten’, einmal abgesehen davon, dass er ja nicht erraten wird, sondern erlauscht, was etwas ganz anderes ist und in den Bereich der Spionage fällt, die zu dem gezeichneten Bild der Sozialwelt problemlos passt, die das Märchen skizziert.

Was mich überrascht ist vor allem, dass ich dieses Ergebnis der Betrachtung nicht hätte voraussagen können. Immer wieder einmal ging mir das Märchen durch den Sinn, und dass es mir ein Rätsel ist, aber es bedurfte schon der ausdrücklichen Untersuchung und der schrittweisen Niederschrift, damit ich am Ergebnis sehe, was sich aus einer Betrachtung eigentlich ergeben könnte. Das ist ein hinreichender Beleg dafür, dass es unformulierte Gedanken jenseits der sprachlichen Form gar nicht gibt. Es gibt also auch keine Möglichkeit sich auf etwas derart zu berufen, so wenig wie auf eine unmittelbare Evidenz. Und das ist auch ganz leicht einzusehen angesichts des Umstandes, dass sich eben nicht ‚in einem Satz’ aussprechen ließe, was die Überlegung auf vielen Seiten erst entfalten musste.

Dabei kann man davon absehen, dass es ja auch der Voraussetzungen bedarf, die diese Betrachtung erst möglich machen, und das geht über den puren Text des Märchens ja weit hinaus.

Es zeichnet sich aber bereits Neues, Unvorhergesehenes ab: Jedes Mal, wenn ich das Manuskript abzuschließen versuche und schon meine, das das Thema nun erschöpft sein dürfte, stellt sich inzwischen heraus, dass sich sogleich etwas Neues anbietet. Nun, nachdem ich so weit gekommen bin, erscheint mir ein zweiter Teil notwendig, der sich zunächst mit der Möglichkeit der Rechtfertigung der Handlungen der Müllerstochter beschäftigen muss. Erst dann zeigt sich die Konstellation, die den ganzen Spannungsbogen des Märchens sichtbar werden lassen kann, seine strukturelle Verwandtschaft mit der Tragödie. Aber dann zeigt sich auch das unter dem Eindruck des Einbruchs des ‚Mittelalters’ regredierte Zustand des Ausdrucksvermögens, das dem Selbstbewusstsein der ‚Tragischen Weltanschauung’ entspricht, der Grad seiner Verkrüppelung unter dem Eindruck massiver gesellschaftlicher Kräfte, die sich dem Bewusstsein der Populationen als ebensolche Deformationen seines symbolischen Vermögens einprägen. Zugleich sind das exakt die Kräfte, die das mehr oder weniger heimliche und listige sowie in bestimmter Hinsicht – der Anpassung an das Gegebene und als unabänderlich nicht ganz falsch Bewertete Faktum der Gewalt, die in die Verhältnisse der Menschen interveniert und ihr ‚Verhalten’ blind imprägniert – erfolgreiche Tun der Müllerstochter rechtfertigen. Es sind diese Kräfte, die vor der Todesdrohung und vor der Erniedrigung von Menschen als Mittel nicht im Mindestens zurückschrecken, sondern sich als Typus der herrschenden Gewalten personifizieren, in jedem Gattungsexemplar auf seine Weise, dem zur Herrschaft bestimmten wie den von ihr Betroffenen.

Nur so kann überhaupt verständlich werden, dass sie den Mann gar nicht erkennt, wenn er und weil er nicht die Charaktermaske der Macht, der Gewalt und der Herrschaft trägt und ihr so entgegentritt. Nur so kann überhaupt verständlich werden, dass sie offensichtlich meinen muss, aufgrund eines ihr gar nicht zugänglichen Zwangs, der die unbewussten Voraussetzungen ihres bewussten Verhaltens ausmacht, dass der Mann, der sie mit dem Tod bedroht, wenn sie ‚nicht termingerecht liefert’ sie geradezu nach Art eines Mafiabosses traktiert, und der sie nur ehelicht, weil er kaum eine reichere Frau finden können wird, wie er sich selbst sagt, sozusagen die Erfüllung ihrer Wünsche sein muss, während der, der ihr doch unmissverständlich erklärt, dass ihm ein Kind mehr wert ist als alle Schätze dieser Welt, nichts ist als eine Karikatur des Mannsbildes, das ihr als angemessener Partner durch den Kopf spukt. Man kann die Blindheit der Müllerstochter kaum übertriebener darstellen als das die Erzählung tut, aber es bedarf ebenso des Verständnissen, warum die Erzählung sie und ihr Tun letztlich doch legitimiert, um nicht zu sagen: empfiehlt.

Und erst wenn dieser Gegensatz ganz deutlich gemacht ist, kann klar werden, dass hier im Gewand eines regredierten Ausdrucksvermögens die Tragödie der Liebenden als Normalfall unter bestimmten Bedingungen der Konfigurierung des sozialen Lebens verdeutlicht wird. Sie müssen sich verfehlen aufgrund der der Verfehlung des Zugangs zum Verständnis der eingeübten Erwartungen des jeweils anderen Partners, und aufgrund der systematischen Verkehrung der Verhältnisse, die die Gier und die Gewalt als Potenz erscheinen lassen und die produktive Potenz und das Vertrauen in den Partner als nutzbare Formen von Dummheit und Lächerlichkeit. Das muss also einem weiteren Teil der Betrachtung vorbehalten sein. Was sonst als Gegenstand der Zuständigkeit der Sozialpsychologie erscheint, wird damit von seinen Voraussetzungen in einer dem Bewusstsein der Individuen voraus‑ und zugrunde liegenden Struktur des sozialen Feldes durchsichtig, die sich dem Bewusstsein entzieht, obgleich sie ihm zugrunde liegt, auch dem der ‚Sozialpsychologen’, und die die Erwartungen, Wahrnehmungen und Reaktionsbereitschaften, um nicht zu sagen, die Verhaltensautomatismen bis hinein in die von Instinktresten mit gesteuerten Formen des Sozialverhaltens, wie es die Partnerwahl ist, steuern, ohne dass die Individuen, die sich an nicht genügenden primitiven Indikatoren (der Verliebtheit, der ‚Schönheit’) und dergl. orientieren, ohne dabei auch nur zu ahnen wie weitgehend sie durch deren soziale Normierung durch ihnen überlegene Kräfte determiniert sind, so dass sie gerade dort, wo sie, zumal darin bestärkt, meinen mögen, am meisten bei sich selbst zu sein, es in der Tat am wenigsten sind, jedenfalls aber mindestens so wenig wie sie sonst über ein Urteilsvermögen verfügen dürfen, das sich nicht kontaminiert findet mit dem, was dieses Urteils am meisten bedürfte, damit vermeintliches Handeln nicht bloßes Verhalten bleibt, im buchstäblichen Sinne des krudest denkbaren behavioristischen Denkmodells einer Psychologie der politischen Massentierhaltung, die selbst diejenigen mit dem Gewaltmittel einer wissenschaftlich eingekleideten Politik aufs bloße Verhalten gewaltsam reduziert, die sich dem Muster nicht einpassen, einfach dadurch, dass sie die Interpretationskompetenz an sich reißt und sie sich von der Politik, der sie dient, als Monopol garantieren lässt, während und indem sie sich durch die Gegenleistung als wissenschaftliche Hilfskraft der organisierten Gewalt prostituiert. Damit stehe ich aber an einem neuen Anfang, der folgen wird. Zu überlegen wäre u. U., das Ganze etwas zu gliedern, aber ich schreibe am liebsten in der Essayform, und ‚Inhaltsverzeichnisse’ sind eine bürokratische Maßnahme gegenüber dem Text, deren Herkunft aus dem ‚Informationsbedürfnis’ man kennen muss um zu wissen, dass es für Leser gedacht ist, die den Text nicht lesen wollen/können, sondern nur das Inhaltsverzeichnis und ihren potentiellen Analphabetismus mit Zeitgründen entschuldigen. Man übersieht dabei, dass sich Bildung nicht auf die Lektüre von Inhaltsverzeichnissen gründen lässt. Ich bin ganz froh, dass mir die Gestaltung niemand mehr vorschreiben kann.

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Anmerkungen:


1) „Vergessen wir nicht, dass alle diese Individuen…in Wirklichkeit Arten sozialer Klassen bilden…Was ihnen magische Eigenschaften verleiht, ist nicht so sehr ihr individueller psychischer Charakter, als vielmehr die von der Gesellschaft ihnen gegenüber eingenommene Haltung. Dasselbe gilt auch für die Frauen…Es sind weniger ihre psychischen Charaktere als die von ihren Eigenschaften bedingten sozialen Gefühle, aufgrund deren man sie überall für die Magie eher geeignet hält als die Männer. Die kritischen Perioden ihres Lebens rufen Staunen und Ahnungen hervor, die ihnen eine Sonderstellung geben. Die magischen Fähigkeiten der Frau erreichen ihre größte Intensität im Moment ihrer Heiratsfähigkeit, während der Regel, zur Zeit der Schwangerschaft und des Kindbetts und nach der Menopause. Die alten Frauen sind Hexen, die Jungfrauen gelten als wertvolle Gehilfen, und das Menstruationsblut und andere Ausscheidungen werden allgemein als Spezifikum benutzt.“ Marcel Mauss, Entwurf einer allgemeinen Theorie der Magie, in: Soziologie und Anthropologie I, München 1974, S. 61f. Man muss bedenken, dass der Text die Gründe für diese Feststellungen aus Untersuchungen nicht zu nennen imstande ist, die sich inzwischen ergeben haben. Sonst müsste er hinzufügen, dass diese Gründe für die Neigung, Frauen für Magierinnen zu halten, in ihrer Verfügung über die ersten Lebensabschnitte des in die Kultur einzuführenden Kindes gefunden werden kann. Da die Betrachtung des Märchens keine ‚Theoriearbeit’ sein will, gehe ich darauf nicht weiter ein, aber man kann vermuten, dass die anderen Hexer, an die man zu glauben neigt, nur Übertragungsobjekte sind, so dass in der Tat die Frauen die primären Quellen der Neigung zu magischem Glauben sein dürften. Darüber hinaus wurzelt diese Neigung natürlich in allgemeinen anthropologischen Gegebenheiten.

2) „11,1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. 11,2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. 11,3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, 11,4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. 11,5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. 11,6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. 11,7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, daß ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. 11,8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. 11,9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.“ Aus: Die Bibel, Das Alte Testament, Der Prophet Jesaia, 11. Kapitel, Der Messias und sein Friedensreich.

3) 6,24 Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. 6,25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? 6,26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Aus: Das Evangelium nach Matthäus, Bergpredigt, 6. Kapitel


4) 1,18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. 1,21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. 1,26 Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. 1,27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; 1,28 und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, 1,29 damit sich kein Mensch vor Gott rühme. 1,30 Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, 1,31 damit, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22.23): «Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!» Aus: Der Erste Brief des Paulus an die Korinther. 2,14 Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. Aus: Zweiter Brief, zweites Kapitel. 3,19 Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott. Aus: Dritter Brief . 9,13 Frau Torheit ist ein unbändiges Weib, verführerisch, und weiß nichts von Scham. 9,14 Sie sitzt vor der Tür ihres Hauses auf einem Thron auf den Höhen der Stadt, 9,15 einzuladen alle, die vorübergehen und richtig auf ihrem Wege wandeln: «9,16 Wer noch unverständig ist, der kehre hier ein!», und zum Toren spricht sie: «9,17 Gestohlenes Wasser ist süß, und heimliches Brot schmeckt fein.»a 9,18 Er weiß aber nicht, daß dort nur die Schatten wohnen, daß ihre Gäste in der Tiefe des Todes hausen. Aus: Sprüche Salomos, Neuntes Kapitel.

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Nachbemerkung:

Das ließe sich verlängern, und man kann der Erläuterung eine eigene Betrachtung widmen. Zusammenfassung lässt sich sagen, dass die ‚Torheit’ hier abwechselnd als die der einen und der anderen Welt erscheint, die damit in einem strengen Sinne einander entgegen gesetzt sind, in dem nur das eine Klugheit sein kann und damit auch das Wahre trifft, und von der jeweils einen Perspektive aus das Entgegengesetzte als das Unwahre, Nichtige. Das Märchen entscheidet sich prima vista für das Eine, zeichnet aber das Entwertete Anders dann doch so, dass der Gegensatz und die ihm innewohnende Problematik der christlich-mittelalterlichen Welt mit ihrem Gegensatz von Kultur und Macht hinreichend durchscheint und dem Märchen seine innere Hochspannung erhält. Hier soll nur der unterschwellige Bezug deutlich gemacht werden, der aus den ausgewählten Stellen mit hinreichender Deutlichkeit spricht, gerade auch im Hinblick auf die Wahl der Metaphern und Allegorien. Zum Inhalt muss ich hier nicht Stellung nehmen. Ich habe ihn nicht zu verantworten. Es geht darum, den unterschwelligen Zusammenhang mit dem Märchen zu belegen und damit seine Struktur und seinen Sinn zu erhellen.

Es hat einen gewissen Spaß gemacht, das Märchen so 'gegen den Strich' seiner äußeren Textgestalt aufzuhellen, mit der die Oberfläche der ihm eigentümlichen Wirklichkeit gezeichnet ist, aber es war auch für mich eine echte Überraschung, die ich mir noch einmal unter methodischen Gesichtspunkten durch den Kopf gehen lassen werde.

Übrigens ist mir nie eine Interpretation bzw. Analyse dieses nach meinem Urteil recht untypischen Märchens irgendwo begegnet. Das macht das vorliegende Dokument meiner Ansicht nach zu einer Besonderheit. Zunächst ist es ein Versuch, an einem Beispiel etwas verständlich zu machen, das sich polemisch vermutlich kaum mit Aussicht auf Erfolg klären lässt. Eine Interpretation eines literarischen, eines Märchenstoffs kann hier die notwendige Distanz herstellen. Ich hoffe es leistet was es soll.

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